Was schon länger zu vermuten war, bestätigt sich nach Recherchen des NDR: Stephan Ernst, der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, hat sich der AfD als Helfer angedient. Im Landtagswahlkampf der AfD 2018 hat er Plakate für die Partei geklebt, hat an Parteiversammlungen teilgenommen und, so der NDR v. 21.01.2020, Unterschriftenlisten bei sich zuhause aufbewahrt. Die personellen und politischen Verstrickungen der AfD mit Neonazis, Rechtsextremisten, womöglich Combat 18-Symphatisanten und mutmaßlichen Mördern an Walter Lübcke werden immer wahrscheinlicher. So hat Ernst an AfD-Demos in Erfurt 2016 und 2017 teilgenommen, er ist mit seinem Kumpan Markus H. auf Bildern der AfD-Demo 2018 in Chemnitz zu sehen, die u.a. von Björn Höcke (AfD) und dem PEGIDA-Frontmann Lutz Bachmann angeführt wurde, er war privat mit AfD-Mitgliedern verbandelt und mit KAGIDA-Anhängern auf der bekannten Veranstaltung am 14. Oktober 2015 in Lohfelden. Das waren diejenigen Rechtsaktivisten, zu denen auf mehreren fremdenfeindlichen Hetzveranstaltungen auf dem Scheidemann-Platz Manfred M., der damalige AfD-Kreissprecher und Landtagskandidat 2018, überaus freundlich sprach. Derselbe kam vermutlich in Panik, als er Ernst als mutmaßlichen Lübcke-Mörder und AfD Sympathisant in den Zeitungen erkannte und offenbarte sich schnellstmöglich der Polizei.
Wie sind die Zusammenhänge von AfD und den Naziaktivisten zu erklären? Eine Möglichkeit ist, dass Stefan Ernst als bekannter Neonazi und (unbewiesener) V-Mann des Verfassungsschutzes den Auftrag hatte, in die AfD “einzudringen”, um Material für eine spätere Desavouierung der Partei zu sammeln. Diese Annahme ist sehr theoretisch, aber nicht ausgeschlossen. Dafür spricht, dass der Verfassungsschutz Ernst angeblich nach 2009 nicht mehr “auf dem Radar” hatte, aber möglicherweise intern weiter geführt wurde. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass Ernst auf eigene Faust und in Absprache mit seinen neonazistischen Netzwerken (etwa des “Combat 18”) die AfD unterwandern wollte. Gewissermaßen als Nazi-U-Boot in der AfD. Diese Möglichkeit erscheint dann doch eher kurzsichtig und wenig effizient, weil die AfD sich schon längst in der nazistischen Abwärtsspirale befindet. Und hier ist der Knackpunkt der politischen Debatte um das Einsickern des Rechtsradikalismus in die “bürgerliche Mitte” zu finden. Die rassistischen und fremdenfeindlichen Denkmuster dringen immer tiefer in die sog. Mitte der Gesellschaft. Die jüngsten Ausfälle des Kasseler CDU-Stadtverordneten Hildebrandt, der Afrikaner auf eine Stufe mit Wildtieren stellte, wie auch die regelmäßigen rassistischen Einlassungen der AfD-MdB Alice Weidel bis hin zu den Rundumschlägen des rechtskonservativen online Blattes “Tichys Einblick”, das die gedanklichen Zielgrößen des rechtsradikalen bis ultrakonservativen Denkens zusammenfasst (Tichys Einblick v. 03.Dezember 2019): Es geht gegen “grenzenlose Massenzuwanderung, den Multikulturalismus, das Diversitätsdiktat, die religiös-kulturelle Überfremdung, die Windparks, die Fahrverbote, die Denk- und Sprechverbote, die Ehe für alle, die ausufernde Sozialpolitik, die voranschreitenden Haftungsübernahme für Schulden anderer Länder und den fortschreitenden nationalen Souveränitätsverlust”. Hinzuzufügen wären noch der unsägliche AfD-Vorwurf der “Schuldkulur”, der die Auseinandersetzung mit der Nazidiktatur herabsetzen soll oder der von Höcke (AfD) verwandte Begriff des “offiziellen Erinnerungszwangs”, der die deutsche Erinnerungskultur diskreditieren soll. Diese politischen Zielgrößen sind das Denkfundament, das von Ultrakonservativen über die AfD, zur “Neuen Rechten” reichen(etwa der “Identitären Bewegung”) sowie PEGIDA bis hin zu nazistischen Gruppierungen umfassen.
Wir dürfen auf die nächsten Enthüllungen zum Zusammenspiel der um Bürgerlichkeit bemühten AfD und Rechtsradikalen gespannt sein.