Am 18.Mai 2023 wurde die Demokratie in der Paulskirche in Frankfurt u.a. mit dem Hessischen Ministerpräsidenten gefeiert. Am 30.05. konterkarierte die schwarz-grüne Landesregierung in Wiesbaden den Abschlussbericht des Lübcke-Untersuchungsausschusses durch einen eigenen Bericht mit dem vom Ministerpräsidenten Rhein vorgegebenen Ergebnis: „Der Mord an Walter Lübcke hätte nicht verhindert werden können.“ Im Klartext: Wir haben alles richtig gemacht. Am 01. Juni wurde der Walter-Lübcke-Demokratie-Preis an die Walter-Lübcke-Schule in Wolfhagen und die Journalistin Katrin Eigendorf verliehen. Dabei hob der Hessische Ministerpräsident das Eintreten Walter Lübckes für Freiheit, Toleranz und Respekt im gesellschaftlichen Miteinander hervor.

Demokratie erweist sich nicht in Feierstunden, Preisverleihungen und Lobreden. Demokratie erweist sich in der Praxis der Auseinandersetzung und mitunter des Streits um die beste Lösung gesellschaftlicher Probleme. Sie, die Demokratie, hätte sich im besagten Untersuchungsausschuss im Ringen um Aufklärung behördlichen Versagens erweisen sollen, beim respektvollen Umgang mit dem politischen Gegner, der Toleranz anderer Einschätzungen und der Freiheit kritischen Denkens. Das sind Tugenden demokratischer Kultur, die seitens der Hessischen Landesregierung, namentlich ihres Ministerpräsidenten, in Feierstunden hervorgehoben und in der parlamentarischen Praxis durch die Koalition aus CDU und Grünen verweigert wurden.

Zwei Tage nach Vorlage des Abschlussberichts durch den SPD-Abgeordneten Kummer einen (angeblich) 500 Seiten starken eigenen Bericht vorzulegen, zeigt nicht nur die Respektlosigkeit der Arbeit der Opposition gegenüber sowie der gemeinsamen Vereinbarungen zur Erstellung des Abschlussberichts, sondern auch die kaltschnäuzige Planung, die gemeinsame zweieinhalbjährige Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht nur in Frage zu stellen, sondern geradezu auszuhebeln.

Was sich schon früh in der Arbeit des Untersuchungsausschusses abgezeichnet hatte, wurde am 30.05. exekutiert: Der Ministerpräsident (CDU) gibt vor, und der Koalitionspartner (Die Grünen) kriecht hinterher. Die Formeln von Freiheit, Toleranz und Respekt erweisen sich hier als Phrasen. So funktioniert Demokratie in Hessen im Jahre 2023.

Im Gedenken an Walter Lübckes vierten Todestag sollten die politischen Verantwortlichen in Hessen einmal innehalten und ihr politisches Handeln anhand ihrer Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit überprüfen. Walter Lübcke konnte Gräben zuschütten, ohne seine Haltung zu verlieren, er konnte Menschen in den Arm nehmen, ohne sie zu erdrücken. Er war streitbar und aufrichtig, er war auch politisch schlau, gleichermaßen offen und vor allem glaubwürdig. Das hat er in seiner Unterstützung und der Übernahme der Verantwortung in der Flüchtlingspolitik bewiesen. Das hat ihn aber auch zum Hassobjekt der Anti-Demokraten gemacht. Wer seine politische Glaubwürdigkeit und Offenheit verliert, höhlt die Demokratie aus und bereitet den Weg für ihre Gegner.

Diese Offenheit wird im politischen Geschäft „Transparenz“ genannt. Die Transparenz ließ in dem Untersuchungsausschuss in gelegentlichen Hinterzimmer-Entscheidungen, oder auch: nicht-öffentlichen Sitzungen nicht selten zu wünschen übrig. Ein Schritt zu mehr Transparenz hierzu könnte eine sofortige Veröffentlichung sämtlicher Berichte des Ausschusses sein. Dann könnte sich die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft noch vor der abschließenden Landtagsdebatte ein Bild von der Brüchigkeit der politischen Kultur im hessischen Landtag machen.