Die Kasseler Rüstungsindustrie nach dem Krieg: Neuanfang ohne Blüte

Die Rüstungsindustrie in Kassel 3. Teil

Keine Stunde Null

Die Kasseler Rüstungsindustrie war 1945 nach dem Ende des II. Weltkriegs am Boden, aber nicht zerstört. Eine Stunde Null gab es nur für die Flugzeugindustrie. Sie war durch die Alliierten zerbombt worden. Kassel hatte eine Branche verloren, die offenbar auch nicht mehr die Kraft hatte, einen zivilen Neustart hinzubekommen.

Indes konnte die großen Drei der Metallindustrie, Henschel, Wegmann und Credé mit unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen wieder starten. Vor allem Henschel bekam seitens der Alliierten wieder Aufträge zur Instandsetzung von Lokomotiven. Ca.4.000 Maschinen waren noch in Takt oder konnten kurzfristig repariert werden. Ca. 20% Gebäudeflächen waren noch nutzbar

Anders bei Credé, das  zu 90%,  und die Firma Wegmann, die zu 85% zerstört war. Das jeweilige Firmeneigentum ging an die Alliierten oder an Treuhänder über. Erst Ende der 40er Jahre übernahmen wieder die ursprünglichen Eigentümer die Firmen. Doch damit waren zunächst die Geschäfte mit der Rüstung vorbei und die Unternehmen sowohl der Metall- als auch der Textilindustrie mussten sich vorläufig auf die Herstellung ziviler Güter konzentrieren.

Mühsamer Neuanfang

Für Henschel änderte sich das schon Ende der 1950er/Anfang der 60er Jahre mit dem Bau des Schützenpanzers HS-30, nachdem das Unternehmen mit der “Goergen-Affäre” – hier ging es um Betrug und Untreue in einem 5-Millionen-Rüstungs-Deal – in wirtschaftliche und eigentumsrechtliche Turbulenzen geraten war. Gleichwohl hatte der Anteil der Rüstungsproduktion mit ca. 13% (1963) am Umsatz noch keine allzu große Bedeutung.

Henschel hatte die Lokomotiventwicklung hin zu Diesel und Elektroloks verschlafen, kam trotz der Goergen-Übernahme ins Schlingern und wurde 1964 Teil des Rheinstahl-Konzerns. Kassel war nicht mehr der Stammsitz des Unternehmens und hieß nunmehr Rheinstahl-Henschel AG und bereinigte sein Produktportfolio. Der Nutzfahrzeugbau ging an Hanomag-Henschel und die restlichen Produkte mit den Rüstungsanteilen verblieben bei Rheinstahl. Der Verkauf der Nutzfahrzeugsparte sollte kurzfristig die Liquidität verbessern, war aber langfristig kein gutes Geschäft, weil damit ein internationaler Wachstumsmarkt verloren ging.

Anders als die Fa. Credé nutzte die Firma Wegmann, wie auch Henschel, die Wiederaufrüstung der BRD, um einmal mehr wieder in das Rüstungsgeschäft einzusteigen. Mit ihrem Know-How bei der Entwicklung und Herstellung von Panzertürmen und ihren traditionell guten Beziehungen zu den Beschaffungsbehörden mussten freilich noch einige Hürden überwunden werden.

Wegweisend war 1960 der „private“ Besuch des Bundesverteidigungsministers Strauß bei Henschel und Wegmann, der auch die Wege zu weiteren Rüstungsaufträgen für beide Firmen glättete.

So produzierte Wegmann im Konsortium mit anderen Unternehmen neben den Turmaufbauten für den Leopard-Panzer noch weitere Kriegsgeräte (z.B. Artillerieraketenwerfer). Wegmann war bis 1965 mit 1.700 Beschäftigten wieder gut im Rüstungs- und Waggonbaugeschäft. Fünf Jahre später, 1970, wurde aber der Waggonbau eingestellt. Wegmann & Co. hatte nunmehr die Absicht, in erster Linie ein Rüstungsunternehmen zu werden.

So weit war es bei Henschel noch lange nicht und so weit sollte es auch nicht kommen. Henschel war um 1970 herum ein Kramladen unterschiedlicher Produkte, der erst von Toni Schmücker, dem Vorstandsvorsitzenden von Rheinstahl und späteren VW-Chef, neu geordnet und produkttechnisch „gestrafft“ wurde. Die Rüstungsprodukte wurden der „Sonderfertigung“ innerhalb der „Transporttechnik“ zugeschlagen und bestand in erster Linie aus der Fertigung des „Marder“ und der Montage des „Luchs“sowie der Fertigung kleinerer Komponenten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Henschel – mittlerweile seit 1976 Teil des Thyssen-Konzerns (Thyssen-Henschel AG) – keine allzu großen Rüstungsumfänge für sich verbuchen können. Die guten Geschäfte der Serienfertigung begannen mit dem „Marder“ und dem Spähpanzer „Luchs“. Sie setzten sich fort in den 80er Jahre mit der Serie des „Fuchs“ und dem Krankentransportpanzer M-133A1, der bis 1989 produzierte wurde. Daneben gab es noch eine Reihe von Umrüst- und Unterauftragsarbeiten, die zu einer guten Auslastung führten.

Zäsur in den 1990er Jahren

Die rüstungspolitische Zäsur erfolgte mit dem Ende des „Kalten Krieges“ ab 1989/90, was auch für die Firma Wegman & Co. zu tiefergehenden Verwerfungen führte. Doch vorher konnte sie sich – mittlerweile zu Wegmann-Gruppe mutiert – noch in erheblichem Umfang Rüstungsaufträge an Land ziehen. Schwerpunkt war weiterhin die Entwicklung und Herstellung von Panzertürmen für den „Leopard 1 und 2“ und weiteren Kampfpanzern und wurde mittlerweile ergänzt durch den Bereich der Kampfwertsteigerung. So konnte das Unternehmen auch die Beschäftigtenzahlen massiv auf 2.200 anheben, was aber bis heute der Höchststand gewesen war, denn auch bei Wegmann ging es in den 1990er Jahren bergab. Das war nicht zuletzt Ergebnis der  Entspannungspolitik und des Endes des „Kalten Krieges.“

Auch die Nullerjahre brachten für beide Kasseler Rüstungsunternehmen, die Wegmann Gruppe und die seit 2000 zu Rheinmetall gehörende ehem. Henschel-Wehrtechnik GmbH (als Teil der KUKA Wehrtechnik GmbH), schwere Umsatz- und Beschäftigungseinbrüche. Die Zeiten waren schlecht für den “Kalte Krieger” und die Hochrüstung. Das Kasseler Werk von Rheinmetall – mittlerweile bis heute zu Rheinmetall Landsysteme GmbH mit anderen Unternehmen verschmolzen – hatte zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2000 gerade noch 630 Mitarbeiter*innen und seinen Schwerpunkt weiterhin im Bau von Radpanzern.

Auch Wegmann musste Wege aus der klammen Auftragslage finden. Dies geschah zum einen mit dem Zusammenschluss mit Krauss-Maffei zu KMW (1999) und zum anderen mit der vorübergehenden Erhöhung ziviler Produktion, was aber im Verlauf der 90er und Nullerjahre von Wehrtechnikaufträgen wieder kompensiert wurde. Mittlerweile auf ca. 900 Beschäftigte geschrumpft, widmete sich das Unternehmen der Serienfertigung der Panzerhaubitze 2000, einem Großauftrag, das dem Unternehmen das Überleben gesichert hatte und bis heute lebendig hält. Damit sind wir beim aktuellen Ukrainekrieg und seiner Versorgung durch die Kasseler Rüstungsunternehmen. RLS und KMW (seit 2015 mit dem französischen Rüstungskonzern Nexter zu einer 50:50 Holding  zusammengeführt) boomen seit dem Ausruf der „Zeitenwende“ durch den Bundeskanzler Scholz. Die “Zeitenwende” verhilft aktuell auch der Rüstungsindustrie in Kassel zu neuem Glanz, was Gegenstand der vierten und letzten Folge der Kassler Rüstungsstory sein soll.

 

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