Dunkle Zeiten – auch beim Verfassungsschutz

Die Zeugin sagt: „mehrdimensional“, sie sagt „vielschichtig“, sie sagt „intensiv“, sie sagt: „übergreifend“, sie sagt: „intensiv“, sie spricht vom „intensiven Austausch“ oder auch „nachrichtendienstlicher Bearbeitung“, so ist die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes in Hessen (LfV) nach Aussage seiner Abteilungsleiterin als Zeugin in der 25.Sitzung des Lübcke-Untersuchungsausschusses am 04.03.2022.: „Metaphysische Holzwolle“, würde der Ex-VW-BR Osterloh sagen. Doch die Zeugin hat eine bemerkenswerte Karriere zunächst bei der Polizei und anschließend beim LfV hingelegt: Zunächst in den Polizeidienst eingestellt, dann zur Kripo gekommen, Arbeit beim Polizeipräsidium (PP) Westhessen, Sachgebietsleiterin, anschließend zum LKA in den inneren Dienst, ein Masterstudium angeschlossen, ins Innenministerium, zur Kriminalinspektion Staatsschutz gewechselt und dann 2015 zum LfV. Hier ging‘s schnell aufwärts: Dezernatsleiterin „Rechtsextremismus“, stellvertretende Abteilungsleiterin, ab 2019 Abteilungsleiterin. Die Frau ist 46 Jahre alt und gibt freundlich Auskunft. Frage: Teilnahme von Ernst und Hartmann an Veranstaltungen der rechten Szene in Nordhessen (Beweisthema): „keine Erkenntnisse“. Frage: Teilnahme Ernst und Hartmann an Demo in Chemnitz 2018: „Keine Erkenntnisse“. Frage: Teilnahme Ernst und Hartmann an Trauermarsch in Dresden 2009: „Keine Erkenntnisse“. Hinweis: Der Staatsschutz hat Infos an LfV geliefert: „Keine Kenntnis“.

Dieses Frage-Antwort-Spiel wurde von der Zeugin bei der Frage nach der Zusammenarbeit mit dem Staatsschutz folgendermaßen unterbrochen: „Keine Aussagegenehmigung“. Und hier kommen dann die beiden Aufpasser aus dem Innenministerium in der letzten Bankreihe des Plenarsaals ins Spiel. Sie besprechen sich. Einer geht ans nächste Mikrofon. Die Frage ist offenbar zulässig. Die Zeugin: „Die Zusammenarbeit ist gut, regelmäßiger Austausch“. Frage nach Ernst und Hartmann: „Keine Kenntnis“. Frage nach der Zusammenarbeit mit der LfV-Außenstelle Kassel: „Kein Bezugspunkt“.

Die Rolle des Parlaments als Kontrolle der Executive wird in diesem Verfahren zur Aufklärung oder auch: zum Versagen der Behörden beim Mord an Walter Lübcke schwer beschädigt. Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund. Der LfV führt das Parlament vor, indem es blockt, verdeckt, verschweigt, verheimlicht, verdunkelt oder auch versagt. Vor allem bei der Kompetenz der Behördenmitarbeiterinnen. Das zeigt sich einmal mehr bei beiden Zeuginnen des LfV hinsichtlich der Frage nach ihrer Einarbeitung und möglichen Fort- und Weiterbildung. Die Einarbeitung erfolgte über das Aktenstudium und Nachfrage bei Kolleginnen, Fortbildungen wurden aus unterschiedlichen Gründen keine vorgenommen. Dass bei formidablen Karrieren beim LfV eine systematische individuelle Weiterbildung auch bei Führungskräften keine allzu große Rolle spielt, ist auch schon bei früheren Befragungen deutlich geworden. Dabei ist offensichtlich, dass auch die Organisationsentwicklung in der Behörde nicht selten auf der Strecke bleibt. Die offensichtlich praktizierte behördliche Trennschärfe von der Beobachtung von „Einzelpersonen“ und „Strukturbeobachtung“ ist dann völlig unergiebig, wenn bei der „Strukturbeobachtung“ die handelnden Personen nicht mehr vorkommen, weil ja die „Struktur“, sprich: Organisation beobachtet wird. Absurd! Oder: Der dritte Zeuge – Typ Agentenhärte mit Kurzhaarschnitt, schmalen Lippen und grauem Sakko – kommt aus der „operativen Arbeit“ in den Innendienst. Dort bearbeitet er Excel-Tabellen. Er überträgt Daten und Informationen aus der „Beschaffung“ in die Tabellen und übergibt sie der „Auswertung“. Sein Job. Keine Auswertung, nur Excel-Tabellen, der arme, harte Mann. Zu vermuten ist, dass er hierzu eine Fortbildung (“Einführung in die Grundlagen der Excel-Tabellenkalkulation” oder: kostengünstiger: YouTube Tutorial) von seiner Chefin bekommen hat. Das LfV macht einen erbärmlichen Eindruck.

Es geht nicht vorwärts im Ausschuss. Die Beweisthemen sind vereinbart und kleinteilig. Bei jeder Abweichung etwa nach Fragen der „Gruppierung“ (nicht nach den Personen Ernst und Hartmann wie im Beweisthema vorgegeben) wird vom Vorsitzenden interveniert, und die Frage für unzulässig erklärt. Oder der Arbeitsweise des LfV. Da blickt die Zeugin fragend in die letzte Stuhlreihe des Plenarsaals. Da oben sitzen die Aufpasser aus der letzten Bank. Offenbar wird der Ausschuss dem Ernst seiner Aufgabe nicht gerecht. Hier hat es 2019 den ersten rechtsradikalen Mord an einem Politiker seit der Tötung Walter Rathenaus 1922 gegeben, und der parlamentarische Ausschuss ergeht sich in methodischem Klein-klein, Spitzfindigkeiten, Hickhack und Fingerhakeln. Dass der Verfassungsschutz in diesem Verfahren keinen Überblick über seine politisch-historische Rolle hat, ist in den vergangenen Monaten deutlich geworden. Ein Vorbild für das Parlament darf das freilich nicht sein.

 

 

 

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