Ein Abwehrzentrum ohne Abwehr

Ein alles in allem mageres Ergebnis ergab die Befragung eines Mitarbeiters des Hessischen Verfassungsschutzes (LfV) in der 35. Sitzung des Lübcke-Untersuchungsausschusses (UNA) am 25.11.2022 in Wiesbaden. Offenbar ahnte die Öffentlichkeit schon früh, dass diese Sitzung keine wirklich durchschlagend neue Erkenntnisse bringen würde, denn außer zwei Vertretern der Presse (TV) und einer weiteren Besucherin (neben mir) blieb der UNA unter sich. Kommen keine zweifelhaften Promis wie Stephan Ernst oder sein Kompagnon Markus Hartmann, dann bleiben die Besucher- und Pressereihen weitgehend leer. Das hatte sich schon in der 33. Sitzung gezeigt. Offenbar gehört das Thema „Rechtsradikalismus“ nicht in den aktuellen publizistischen Krisenkanon aus Krieg und Inflation.

Nun sollte der Mitarbeiter des LfV, ein mittelmäßig seriös wirkender, ein wenig mitgenommen aussehender 60-jähriger, über seine Arbeit im GETZ (Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum) beim Bundeskriminalamt (BKA) etwas Substanzielles zu Ernst und Hartmann aus dem Jahre 2018, also vor dem Mord an Walter Lübcke, aussagen. Diese Erwartung war nicht unbegründet, als der Mitarbeiter doch seit 2004 im LfV tätig und seit acht Jahren sein Vertreter im GETZ ist.

Entsprechend bezog sich der Beweisantrag auf die Teilnahme von Ernst und Hartmann an der mittlerweile legendären, das gesamte rechte Spektrum, von der AfD bis zu den Rechtsterroristen, zusammenführenden Demo in Chemnitz am 01.09.2018. Das zivilgesellschaftliche Organ „Exif-Recherche“ hatte hier schon früh mit Fotos die Teilnahme von Ernst und Hartmann dokumentiert. Dem GETZ, ein Zusammenschluss zum Informationsaustausch aus sämtlichen Polizei- und Sicherheitsdiensten, waren nach Aussage des Zeugen die genannten Personen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt und wurden dementsprechend auch nicht beobachtet – es sei denn die sächsischen Behörden waren aktiv, was freilich auch nicht bekannt war. Dies ist kein Wunder, wurde doch die Akte Ernst schon Jahre vorher vom LfV gesperrt. Einmal mehr wurde hier deutlich, dass das LfV mit der Sperrung der Akte und einer vermeintlichen „Abkühlung“ des Ernst völlig daneben lag. Indirekt bestätigte das der Zeuge mit seiner Aussage und Unkenntnis des Sachverhalts.

Die ist umso unverständlicher als dieses Gemeinsame Zentrum in seinem Selbstverständnis die „Kommunikationsplattform für Polizei- und Informationsdienste“ zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, Linksextremismus der Ausländerkriminalität/-terrorismus (Islamismus) sowie der Spionage darstellt. Dem GETZ gehören sämtliche Polizei- und Sicherheitsdienste auf Bundes- und Länderebene an. Dies ist deshalb hervorzuheben, weil sich diese Plattform in einer rechtlichen Grauzone bewegt und ständig Gefahr läuft, das „Trennungsgebot“ von Verfassungsschutz und Polizei aufzuheben. Die Arbeit des GETZ arbeitet auf Grundlage von „Handlungsempfehlungen“ ohne gesetzliche Grundlage. Auf diese rechtliche Gefahrenlage hat der Obmann der FDP und stv. Ausschussvorsitzende, Stefan Müller, zurecht hingewiesen. Da sich das GETZ nur um einen Informationsaustausch zu kümmern hat, ist es umso bedenklicher, dass die notwendigen Informationen zur Gefahrenabwehr des Rechtsextremismus im Falle des Stephan Ernst, wie bei der Befragung des Zeugen deutlich geworden ist, nicht ausgetauscht oder gar nicht erst ermittelt oder nicht zur Kenntnis gebracht wurden. In der Befragung des Zeugen ist häufig nicht klar erkennbar gewesen, ob er nun einfach mauert, sich also der Befragung entzieht, zu dem jeweiligen Sachverhalt nichts sagen durfte oder tatsächlich keine Kenntnis hatte. Auf jeden Fall strahlte der Zeuge eine Bärenruhe aus, an der auch kritisch-bohrende Fragen einiger weniger Obleute der Oppositionsparteien abprallten.

Wie auch immer, es stellt sich die grundsätzliche Frage, zu was so ein Abwehrzentrum taugt, das aus unzähligen Behörden und zusätzlichen Arbeitsgruppen besteht, wo doch schon aus den früheren Befragungen des UNA deutlich geworden ist, dass selbst innerhalb einer Landesbehörde wie dem LfV die Kommunikation im besten Falle unzureichend ist. Damit wird die politische Herausforderung der Parlamente nicht nur für die hessischen Untersuchungsausschüsse zu den Hanau-Morden und an Walter Lübcke nicht kleiner, denn dieses „Abwehrzentrum“ könnte ein kostspieliger Moloch vergebener Abwehrchancen sein.

Als politische Herausforderung sämtlicher Parteien taugt so ein Thema allemal, ob es freilich Wählerstimmen im kommenden Landtagswahlkampf bringen könnte, ist mehr als fraglich.

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