Geht doch! Ein gemeinsamer Antrag der demokratischen Parteien im Kasseler Stadtparlament beendet die politische Würdigung Hindenburgs

Als eine kleine Sternstunde der Demokratie könnte die turbulente Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am gestrigen Montag in die Geschichte der Stadt eingehen.

Und das ging so: Ein Bloghinweis am 30.01.2023 zum 90. Jahrestag zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch v. Hindenburg und dessen (mit seinem Tod juristisch erloschenen) Ehrenbürgerschaft der Stadt Kassel veranlasste die SPD, einen Antrag zur Aberkennung der Ehrenbürgerschaft vorzubereiten, dem sich die Linken mit einem eigenen Antrag anschlossen. Aufgeschreckt nach einem gewissen Zögern schloss sich die sog. „konservative Jamaika-Koalition“ (SPD-Sprech) aus Grüne, CDU und FDP mit einem eigenen, also einem dritten Antrag ebenfalls an. Der Jamaika-Antrag zeichnete sich dadurch aus, dass die Person v. Hindenburg, um die es eigentlich ging, in dem Antrag gar nicht vorkam und das gesamte Thema des Umgangs mit belasteten Ehrenbürgern Kassels in eine noch nicht existierende Kommission abgeschoben werden sollte, die sich zudem mit historisch unzureichend bewerteter Straßennamen, Gebäude etc. befassen sollte.

Nun kam es am Montagabend zum Showdown der Parteien, die sich mächtig ins Zeug legten, um den jeweiligen politischen Widersacher in der Causa Hindenburg ans Zeug zu flicken. Den peinlichsten Auftritt hatte dabei die AfD, die mit aberwitzigen historischen Analogien Hindenburg zu exkulpieren versuchte, während die Jamaika-Koalition, vertreten durch Thomas Volmer (Grüne), den an und für sich vernünftigen Vorschlag einer historischen Kontextualisierung des Versagens Hindenburgs aber mit der skurrilen Begründung versah, dass mit dem Nichterwähnen der Ehrenbürgerschaft Hindenburgs erst „Geschichte sichtbar gemacht“ würde. Da waren denn die Einlassungen von Lutz Getzschmann (Linke), der konkreter auf die Rolle Hindenburgs bei der Etablierung der Nazi-Diktatur einging, sowie von Norbert Sprafke (SPD), der nachdrücklich auf die historischen Bezüge auch des Reichstagsbrandes just vor 90 Jahren am 27.02.1933 hinwies, um einiges plausibler. Dennoch hatte der Jamaika-Antrag den Charme einer weitergehenden Vorgehensweise und der Möglichkeit einer grundlegenden Bearbeitung der Kasseler politischen Geschichte.

Gleichwohl, es kam zum Crash und einer Unterbrechung der Sitzung, was auch der historisch-politischen Brisanz des Themas und der ernsthaften demokratisch-parlamentarischen Debattenkultur zu verdanken war. Durchaus ein Highlight des Parlaments, vor allem, weil es zu einem Kompromiss kam, der die unwürdige Ehrenbürgerschaft Hindenburgs in den städtischen Annalen tilgt und gleichermaßen einen Weg zu weiterer Auseinandersetzung mit den historisch belastenden Zeugnissen der Stadtgeschichte eröffnet. Ein gemeinsamer Antrag aller demokratischer Parteien (Grüne, SPD, CDU, Linke und FDP) passierte schließlich die Abstimmung mit größter Mehrheit.

Dennoch sei schließlich kritisch angemerkt, dass nicht alle der sonst zur personellen parlamentarischen „Ausstattung“ Dazugehörenden allzu großes Interesse an der Debatte zeigten. Neben dem aktuellen Oberbürgermeister Geselle fehlte bei der Debatte, obwohl vorher anwesend, ebenfalls die Dezernentin für Jugend, Gesundheit, Bildung und Chancengleichheit Maisch. Zudem glänzte nach der Pause um 19:00 bis auf zwei Mitglieder der gesamte ehrenamtliche Magistrat durch Abwesenheit. Besonders auffällig war darüber hinaus die demonstrative Zurückhaltung bei der inhaltlichen Auseinandersetzung die sog. Geselle-Fraktion in der SPD. Sie hielt sich plaudernd im Hintergrund. Wie soll das nur weitergehen?

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