Keine Kriegsindustrie in Kassel ohne Unternehmer: Die Rolle von Oscar R. Henschel und Gerhard Fieseler in der Nazizeit

Die Rüstungsindustrie in Kassel 2. Teil*

Mit dem Überfall auf Polen am 01.09.1939 und dem Kriegsbeginn wurde der Umbau der Kasseler Rüstungswirtschaft hin zu einer vollständigen Kriegswirtschaft fortgesetzt. Das war schon 1936 mit dem Göring’schen Vierjahresplan angelegt. Vor allem die Beschäftigung der Metallbranche wuchs mit über 120% auf ca. 50.000 .

Die sich nun anbahnende Konzentration der Kasseler Industrie auf die sog. „kriegsverpflichtete Wirtschaft“ bedeutete den weiteren Ausbau der Flugzeug-, der Maschinenbau- und Fahrzeugindustrie sowie der Textilindustrie. Die seit 1933 um- und ausgebaute kurhessische Wirtschaft (gehörte) zu den Waffenschmieden des großdeutschen Reiches und ihre Leistungen waren im Rahmen der kriegsverpflichtenden Wirtschaft nicht zu entbehren.“ (Kasseler Post v. 30.01.1940)

Zwei große Unternehmerpersönlichkeiten prägten maßgeblich die Kasseler Industriegeschichte der 1930er und 1940er Jahre. Oscar R. Henschel und Gerhard Fieseler. Sie führten ihre Unternehmen, Henschel & Sohn und die Fieseler Werke GmbH in die Reihe der großen deutschen Rüstungskonzerne und machten industriepolitisch die deutsche Wirtschaft maßgeblich „kriegstüchtig“.

Gerhard Fieseler

 Zusammen mit den Junkers-Werken und dem Henschel-Motorenwerk in Altenbauna war die Flugzeugindustrie in Kassel die Nazi-Vorzeigebranche, die wesentlich von Gerhard Fieseler begründet worden war. Fieseler nutzte seine guten Kontakte zum Reichsluftfahrtministerium wohl noch aus seiner Zeit als Kunstflieger, um Aufträge zu generieren und seinen Kapitalbedarf zu decken. „Den stürmischen Aufbau meines Unternehmens finanzierte sozusagen stillschweigend der Staat,“ bilanzierte er rückblickend zufrieden. Das kam nicht von ungefähr.

Seinen Ruf erwarb er sich als Flugzeugkonstrukteur und Kunstflieger, der 1934 Kunstflugweltmeister geworden war. Fieseler war als Flieger eine echte internationale Nummer. Er war als Entwickler und Konstrukteur hervorragend qualifiziert und politisch bis auf die Knochen Opportunist. Zum 01. Mai 1933 wurde er Mitglied der NSDAP. Er war erfolgreicher Unternehmer und Kriegsmann, der sich nicht zu schade war, sein bekanntestes Produkt, das sog. Langsamflugzeug, den Fieseler „Storch“, dem faschistischen Franco-Regime in Spanien während des spanischen Bürgerkriegs zu einem Vorzugspreis zu überlassen. Fieseler war eine schillernde Figur im dunklen Nazireich, das ihn zum „Wehrwirtschaftsführer“ machte.

 

Seinen politischen Ruhm und seinen Reichtum hatte er den Nazis zu verdanken. Ohne sie wäre er wahrscheinlich ein bekannter Kunstflieger geblieben – nicht mehr. Seinen Reichtum hat er aber vor allem auch den ca. 6.000 Zwangs- und Fremdarbeitern (1944) zu verdanken, die sich für ihn und das Unternehmen kaputt geschuftet haben.

Die Fieseler Werke wurden im April 1944 durch einen Alliierten Bombenangriff zum größten Teil zerstört. Fieseler wurde nach dem Krieg zunächst inhaftiert und nach einem Jahr im Rahmen der Entnazifizierung frei gesprochen und schließlich 1949 in einem Spruchkammerverfahren als „entlastet“ eingestuft.

Dass Gerhard Fieseler, der 1987 in Kassel gestorben ist, vermittels der Gerhard-Fieseler-Stiftung und dem „Verein Fieseler Storch für Kassel“ noch immer in hohem Maße gehuldigt, ohne dass in der Öffentlichkeit auf seine Nazi-Vergangenheit eingegangen wird, bleibt bis heute ein Rätsel eines Teils der Kasseler Erinnerung-und Gedenkkultur. Gerhard Fieseler war eben nicht nur ein Flieger und Flugzeugkonstrukteur, sondern auch ein Nazi-Kollaborateur.

Oscar R. Henschel 

Ähnlich rätselhaft bleibt der öffentliche Umgang mit der zweiten großen Kasseler Unternehmerpersönlichkeit – Oscar R. Henschel.

Henschel und seine Firma hatten ihr 125jähriges Jubiläum zurecht im September 1935 zu feiern. Wäre es doch nur eine Produktionsfeier zusammen mit den Mitarbeitern geblieben. Doch die Zeit war eine andere. Und Henschel hatte sich angepasst. Es wurde eine monströse Nazi-Feier mit Fackelzug, Nazi-Größen, wie dem DAF-Vorsitzenden Robert Ley, zusammen an der Spitze mit Oscar Henschel (mit Hitler-gruß Dritter v.r.).

Was die Familie Henschel in der Nazizeit an Reichtum und Einfluss erlangte, war Ergebnis ihres Wirkens zusammen mit dem Nazi-Staat. Beredtes Beispiel hierfür war ihre kapitalseitige Übernahme und Verschmelzung zu den Henschel-Firmen Hansa Schwerweberei AG und den Textilwerken Karl Anton Henschel, dem Sohn von Hildegard und Oscar Henschel, im Rahmen der sog. Arisierung auch der Kasseler Wirtschaft. Damit hatte die Familie nicht nur das Sagen im Großunternehmen Henschel & Sohn, sondern auch in großen Teilen der Textilindustrie. Und Oscar R. Henschel war als Familienoberhaupt der Dominator der Kasseler Industrie.

Oscar R. Henschel hatte 1924 die Generaldirektion der Firma übernommen und schon früh erkannt, dass eine gute Verbindung zu den Nazi-Größen vorteilhaft fürs Geschäft sein kann:  im Mai 1933 hatte er dem Oberpräsidenten Philipp Prinz von Hessen und dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring seine Reverenz erwiesen. Die neuen Herren wurden mit einem dampfgetriebenen Henschel-Spezialauto durch Kassel gefahren.

Dies kam nicht von ungefähr. Henschel war am 1.April 1933 in die NSDAP eingetreten. Im August 1933 führte er in seinem Betrieb den “deutschen Gruß” ein, er wurde Ratsherr, bekam Orden und heiratete in die Siemens-Dynastie ein. Er trug zur Hochzeit eine Uniform der Luftwaffe. All das nutzte er auch für sein Unternehmen. Die Henschel-Familie war Teil des Regimes.

So hatte er denn auch später gute Kontakte nach Berlin und konnte  sukzessive sein Unternehmen als Rüstungsschmiede weiterentwickeln. Insbesondere als Vorsitzender der Lokomotivbau-Vereinigung nutzte er die Berlin-Kontakte, wenngleich er auch er später den Posten aufgrund interner Konflikte abgeben musste. Mittlerweile Wehrwirtschaftsführer geworden, kam es aufgrund des Drucks des örtlichen Gauleiters Weinrich zu der Abgabe der Generaldirektion des Unternehmens, was aber seinen Einfluss als Eigentümer nicht wirklich schmälerte, da er den Vorsitz des Aufsichtsrates übernahm. Anzunehmen ist, dass ihm diese Rolle auch besser lag, da er, wie ihm nachgesagt wurde, da das operative Geschäft nicht so sehr seine Herzensangelegenheit war.

Dennoch – Oscar R.  Henschel ließ es sich nicht nehmen noch zum Jahreswechsel 1942/43 in der Zeitschrift Henschel-Stern seinen Aufruf zum Vertrauen in Adolf Hitler vorzunehmen  und zu weiteren Opfern aufzurufen. Im selben Winter 1942/43 fand die Schlacht von Stalingrad statt.

1945 stand die Firma Henschel am Abgrund, die Familie Henschel freilich nicht, sie war reich und Oscar R. Henschel ein „Mitläufer“ mit einer Geldbuße von 2.000 DM bereit, nach einem Arbeitsverbot bis 1949 wieder die Firma anzuführen. Oscar R. Henschel starb 1982 in Küsnacht (Schweiz). Der Ort am Zürichsee wird in der Schweiz als “Goldküste” bezeichnet.

 

 

*Die folgenden Angaben und Zitate sind Lacher, Arbeit und Industrie, Marburg 2018 entnommen.

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Prof. Dr. Werner Ruf
    6. November 2023 15:29

    Diese Kommentare zur jüngeren Geschichte Kassels sind gerade jetzt bedenkenswerter denn je: Den Rüstungsmagnaten der Stadt haben sie Vermögen und zumindest seinerzeit Ruhm und Ehre, den Einwohnern der Stadt und all jenen, die dafür schuften mussten, Tod und Vernichtung in fürchterlichen Bombennächten eingebracht. Das geschieht in einer Zeit, in der Deutschland wieder “kriegstüchtig” gemacht werden soll, während das veraltete Grundgesetz noch von “Landesverteidigung” spricht. Die Rüstungsindustrie erlebt eine neue Blüte. Die Folgen diesers Zusammenhangs sollten gerade in Kassel im Bewußtsein bleiben.

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