Reichsbürger in Kassel?

Ein Spaziergang am Brasselsberg in Kassel, dem Villenviertel am Rande des Habichtswaldes, lohnt sich, wenn der/die Besucher*in ein wenig angestaubte Mondänität liebt. Frische Luft, elegante 50er-Jahre-Einfamilienhäuser – einige von Paul Bode erbaut – große gepflegte Gärten mit Altbaumbestand, Ruhe, breite Zufahrten und dunkle SUVs, die in den geräumigen Garagen verschwinden. Es riecht nach Geld und kultiviertem Wohnen.

„Monster von Kassel“

Ältere Mitbürger*innen aus Kassel, die noch Das Erste schauen, werden sich vielleicht an „Das Monster von Kassel“ erinnern. Ein Tatortkrimi spielte in diesem Stadtteil, genauer: in der Straße Im Rosental. Am 12. Mai 2019 bestaunten 9,28 Mio. Zuschauer das Monster-Haus im Ersten ab 20:15. Von innen und von außen. Für die 3 Wochen Drehzeit klingelte die Kasse des Eigentümers: 15.000 €, so sagt man in der Nachbarschaft. Plus Unterkunft der Eigentümerfamilie in einem Hotel. Kein Wunder, dass in der Zeit Urlaub angesagt war, vermutlich auf Kosten der TV-Gebührenzahler. Damals (HNA v. 08.05.2019) wie heute wohnt ein Robert Tom Coester in diesem Haus. Ein Unternehmensberater und nach Auskunft des Handelsregisters seit 2012 der alleinige Geschäftsführer der GeMax GmbH. Einem Kasseler Unternehmen, das „Coachings, Seminare und Schulungen sowie  Dienstleistungen zur Unterstützung des unternehmerischen Erfolgs für Unternehmen“ der Gastronomie und Hotellerie beitragen will. Es geht um „browserbasierte Software und Datenbanken“, so die Auskunft im Handelsregister. Soweit so unverdächtig, wenn der interessierte Spaziergänger Im Rosental 19 nicht Gefahr liefe, sich auf ex-territoriales Gebiet zu begeben, denn am breiten soliden Eingangstor im Rosental 19 gibt es folgenden Aushang zu sehen:

Was sagt das „Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen“, so die korrekte Bezeichnung? Lt. Wikipedia regelt das Übereinkommen „den diplomatischen Verkehr“ einschließlich die „Immunität“ der Diplomaten sowie die „Unverletzlichkeit“, so Wikipedia, der „diplomatischen Mission“. Danach fragt sich der verwirrte Spaziergänger am Brasselsberg, was wohl Im Rosental 19 mit einer „diplomatischen Mission“ zu tun hat. Er wird mit einem kurzen Schwenk auf das Eingangstor fündig und hat den Verdacht, dass es hier nicht um einen mehr oder weniger witzigen Bewohner geht, sondern ernst gemeint ist:

 

„Die Germaniten“

Hier befindet sich also die „Mission des indigenen Volkes der Germaniten“. Im Selbstverständnis sind die „Germaniten“ ein eigenes „Staatsvolk“ mit einem eigenen Territorium und einer „Mission“, die wohl einer Botschaftsvertretung des „Volkes der Germaniten“ gleicht. Wir sind also am Brasselsberg bei einer Abteilung der Reichsbürger gelandet, die bekanntlich die Existenz des Staates der Bundesrepublik Deutschland leugnen und seine politischen und rechtlichen Bestandteile ablehnen, aber die Grenzen des Kaiserreichs und des Deutschen Reiches von 1937 als Grundlage und Rahmen ihres politischen Handelns sehen. Zu dieser heterogenen Gruppe werden von den Verfassungsschutzberichten NRW und BaWü die sog. Germaniten gezählt (vgl.Verfassungsschutzbericht NRW 2018, 2019). Wie stark die Verbindung zur rechtsradikalen Szene vorhanden ist, zeigt allein schon der Vermerk des NRW-Berichts, dass die Germaniten aus Vlotho (NRW) sich als „Arische Partei“ bezeichnen (Verfassungsschutzbericht NRW 2019, S. 135). Der Hessische Verfassungsschutz erwähnt die Gruppe der „Germaniten“ in seinen Berichten indes nicht. Auch das dürfte angesichts des Zustands dieser Behörde kein Zufall sein (vgl. Blätter für deute und internationale Politik 04/2023, S.25-28).

Einen tieferen Einblick in diese Untermenge der Reichsbürgerszene bietet die TAZ (https://taz.de/Germaniten-in-Norddeutschland/!5873391/) deren Recherche die Ursprünge dieser Bewegung des „indigenen Volkes der Germaniten“ in Baden- Württemberg ausmachen. Dies dürfte kein Zufall sein, da bekanntlich die Coronaleugner vor allem in diesem Bundesland ihre Fanbase hat, was sich auch in der ideologischen Ausrichtung der „Germaniten“ und in allerlei esoterischem Hokuspokus wiederfindet. Mittlerweile ist nach TAZ-Recherchen die Gruppe der „Germaniten“, neben ihren Sitzen in NRW, auch in Niedersachsen angekommen und dürften nunmehr einen Brückenkopf in Kassel aufgeschlagen haben.

Und nun die Reichsbürger in Kassel?

Der Geschäftsmann Coester, Im Rosental 19, als Chef der Mission der Germaniten in Kassel, steht also einer Reichsbürgergruppe vor und verkündet mit seinen „IVG-Vorträgen“ (Indigenes Volk der Germaniten) in der ganzen Bundesrepublik, von Rostock über Bautzen bis nach Freiburg i.Brsg., die Botschaften seiner Reichsbürgergruppe. Dass dem Vortragenden das „Querdenken“ nicht fremd ist, lässt sich schon allein aus seinem Facebook Account ablesen. Hier wimmelt es von selbst gebastelten, kruden Lebensweisheiten, gepaart mit Nonsens und Völkischem. Kostprobe:

Warum ist Deutschland wichtig, (sic!) für die ganze Welt!!! Stichwort Ley-Linien5-Fach Kreuzzung (sic) (Pentagramm)…wir sind deshalb Spirituell(sic!) gesehen, weiter als andere Völker, deshalb waren und sind wir das Land der Dichter und Denker. Unser Auftrag in dieser Welt ist ein spiritueller und kein wirtschaftlicher, immer noch, alles gehört zusammen!!!!

Coester bei einem Vortrag mit 104 Teilnehmer*innen am 04. März in Bautzen (Quelle Facebook)

 

 

 

 

 

 

 

Was nun im Einzelnen Thema und Inhalt dieser sog. IVG-Vorträge ist, muss an dieser Stelle offenbleiben. Hierzu müsste man sich diese Vorträge anhören, was nicht ganz einfach ist, da sie offenbar nicht öffentlich bekannt gemacht werden. Zu vermuten ist, dass sie über nicht frei zugängliche Chats und über die Reichsbürger-Netzwerke beworben werden. Eine weitere Möglichkeit etwas Näheres über diese Gruppe des „indigenen Volkes der Germaniten“ zu erfahren, wäre ein Besuch Im Rosenthal 19 am Brasselsberg, was aber, aus der Sicht des Eigentümers Coester, wohl, wie man oben unschwer sehen kann, nur über eine „Voranmeldung“ und vor allem als Aufnahme „diplomatischer Beziehungen“ zu erreichen ist.

Weitere Fragen müssen an dieser Stelle offen bleiben. Etwa folgende: In welcher wirtschaftlichen Beziehung steht die Firma GeMax GmbH, deren Geschäftsführer Coester ist, zu den Reichsbürgern? Wie finanzieren sich die „Germaniten“? Gibt es eine personelle und wirtschaftliche Beziehung zwischen den Netzwerken der „Germaniten“, den Reichsbürgern, der AfD und Rechtsradikalen in Kassel? Der Hessische Verfassungsschutz scheint auf diese Zusammenhänge noch nicht gekommen zu sein, denn offenbar, wie schon erwähnt, sind der „Phänomenbereich“ (Verfassungsschutz-Sprech) der Reichsbürger und der „Germaniten“ in Kassel nicht in seinem Blickfeld.

Bleibt der Hessische Rundfunk (HR), der ja schon 2019 intensiveren Kontakt mit dem „Monster von Kassel“ hatte. Die üppige Überweisung von 15.000 € dürfte möglicherweise in die Taschen der Reichsbürger geflossen sein. Im Zuge der Razzien im Reichsbürgermilieu Anfang des Jahres sind evtl. auch Kassenprüfungen vorgenommen worden, die auch Kasseler Finanztransaktionen zu Tage gebracht haben könnten. Vielleicht weiß ja die Bundesinnenministerin und hessische Spitzenkandidatin der SPD bei den Landtagswahlen am 08. Oktober, Nancy Faeser, mehr über Aktivitäten von Reichsbürgern in Kassel. Sicher ist jedenfalls, dass Kassel mal wieder Teil rechtsradikaler Umtriebe geworden ist.

 

4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Danke für diesen interessanten Artikel. Der Chef der “IVG” hat da ja ein “super” Geschäftsmodell, leider auf Kosten der Mitmenschen die auf seinen Kokolores hereinfallen. Kürzlich war er mehrfach in Sachsen unterwegs. https://bfzd.de/nuenchritz-reichsbuerger-indigene-volk-germaniten.htm

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  • Torsten Felstehausen
    12. April 2023 22:42

    Wir haben zu den Gernaniten um deren Aktivitäten bereits im Februar 2023 den Hessischen Innenminister gefragt (https://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/8/10538.pdf). Leider lässt die Antwort auf sich warten und ist erst für Mai 2023 in Aussicht gestellt.

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  • Peter Schulze-v.Hanxleden
    12. April 2023 17:10

    Als älterer Mitbürger, der immer noch gerne das Erste schaut, kann ich mich zum Glück nur dunkel an den Krimi „Das Monster aus Kassel“ erinnern. Leider wird man nicht so schnell über das „Geschehen“ im und aus dem Hause Rosental 19 hinweggehen können wie über den seinerzeitigen nicht so sehr erfolgreichen Kassel-Krimi.
    Wie gut, dass Michael Lacher uns wieder einmal die Augen für die nicht schöne „Heile-Welt“ geöffnet hat.

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