Schmierentheater in Wiesbaden

Ein groteskes Schauspiel konnten die rund dreißig Pressevertreter und Besucher des Lübcke-Untersuchungsausschusse (UNA) am 04.11. über sich ergehen lassen: Auf Antrag von CDU, Grünen und AfD wurde die Befragung von Stephan Ernst, dem verurteilten Mörder von Walter Lübcke, aus Sicherheitsgründen, wie es hieß, in einen engen kleinen Saal des Landgerichts Wiesbaden verlegt. Corona spielt offenbar keine Rolle mehr, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit und Zivilgesellschafft in der Sache Walter-Lübcke-Mord möglichst klein zu halten. Dicht gedrängt, im Zentimeterabstand konnten die Anwesenden einen martialischen Auftritt von vier bis sechs maskierten SEK-Beamten mit Sturmmasken, kugelsicheren Schutzwesten, speziellen Handschuhen, Schnürstiefeln und allerlei Schutzutensilien an ihren grünen Westen erleben. In der Mitte Stephan Ernst – rötliches Hemd mit einem Hauch von braun, billiger Hose, Knastfrisur und versteinerter Miene. Und dann hatte der Vorsitzende die unangenehme Pflicht eine minutenlange Verlesung der juristischen Begründung des RA Kaplan zur Auskunftsverweigerung seines Mandanten und Zeugen Ernst zu verlesen. Im Beweisantrag 1 zur Vernehmung des Zeugen sollte es um „Sprengstoff und Bewaffnung“ gehen und im Beweisantrag 2 um die rechte Szene in Kassel und Nordhessen, was von Kaplan unverzüglich aufgrund der verspäteten Zustellung abgewiesen wurde. Bei der Frage von „Sprengstoff und der Bewaffnung“ fürchtete der Rechtsanwalt weitere Strafermittlungen und ggf. Ordnungswidrigkeitsverfahren. Deshalb die Auskunftsverweigerung, so Kaplan, die eine 3/4stündige nicht-öffentliche Beratungszeit des UNA zur Folge hatte, ein späteres unendliches juristisches und z.T. polemisches Hickhack zwischen den Obleuten des UNA, dem Vorsitzenden und dem RA und schließlich in erkenntnisfreien Aussagen des Zeugen Ernst endeten.

Dem wurde allerdings eine beschämend-peinliche mit nichts zu rechtfertigende Gelegenheit einer jämmerlichen Entschuldigungslitanei gegenüber der Familie Lübcke vorausgeschickt. Ein Schmierentheater übelster Art. Veranlasst von dem Rechtsanwalt Kaplan, der aus dem Mord an Walter Lübcke in der medialen Öffentlichkeit ein weiteres Mal für sich Kapital herausschlagen wollte und das mit der politischen Herausforderung des Parlaments und seinem Ausschuss verband. Dies gelang ihm denn auch insoweit, als unmittelbar nach der Sitzung sich sämtliche Mikrofone und Kameras auf ihn richteten, was er sichtlich genoss.  Den politischen Vertretern des UNA blieben dann nur noch zornig-lahme Repliken. Der Rechtsanwalt hatte jedenfalls seinen Auftritt.

Am Ende verlor die Aufklärung, verloren die Aufklärer, die aufklärungswillige Zivilgesellschaft und nicht zuletzt erwies der Rechtsanwalt seinem Mandanten, dem verlogenen Mörder, einen Bärendienst, weil er sich vertiefenden Erkenntnissen zum Mord an Walter Lübcke verweigerte. Da halfen denn auch nicht die hilflos wirkenden Verweise auf die Teilnahme an dem Aussteigerprogramm „Ikarus“.  Das Ding mit dem Zeugen Ernst war am Freitagnachmittag um 16:15 vor die Wand gefahren. Eine nochmalige Vorladung zu dem Beweisantrag 2 sollten sich die Verantwortlichen im UNA genaustens überlegen. Der Schuss könnte einmal mehr nach hinten losgehen.

Ein erkenntnisfreier Untersuchungstag könnte man resümieren. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass die erste Zeugin vom polizeilichen Staatsschutz Nordhessen am Vormittag einmal mehr die Schlampereien, das Versagen und die behördliche Unfähigkeit in der Verfolgung rechtsextremistischer Aktivitäten (ungewollt) offenlegte. Da war es dann schon fast erfrischend-lächerlich als der Zeuge M.K., eine Randfigur der rechten Szene in Kassel, seine „erlebnisorientierten“, so der Zeuge, Freizeitaktivitäten mit „Kloppereien und so“ preisgab und die Vorhaltung des Linken Felstehausen, dass sein Handy am Todestag von Halit Yozgat, am 06.April 2016, in der Funkzelle der Holländischen Straße, dem NSU-Tatort, eingeloggt war, einfach leugnete. Eine gute Recherche des Backoffice von Felstehausen, zumal das BKA in seiner Vernehmung des Zeugen M.K. 2021 von diesem Umstand offenbar keine Ahnung hatte. Ein weiteres Zeugnis behördlichen Versagens. Diese Kette scheint unendlich. Dass die Reform des Verfassungsschutzes zügig vorangekommen sei, wie es die jüngst geleakten NSU-Akten suggerieren, scheint vor diesem Hintergrund wenig überzeugend. Dies sollte bei den Befragungen der (z.T. ehemaligen) Minister Bouffier, Beuth und Rhein im nächsten Jahr auf keinen Fall unter den Tisch fallen.

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