Man kennt sich: der CDU-Obmann Bellino und MP Rhein

Steile These eines MP

Er kam pünktlich, mit kollegialen Begrüßungen und viel Selbstlob. Der Ministerpräsident (MP) von Hessen, Boris Rhein, war am gestrigen Freitag, den 20.01.23, als 47. Zeuge vor dem Lübcke-Untersuchungsausschuss (UNA) geladen und sagte voll umfänglich aus: Nichts verkehrt gemacht, alles in Ordnung gebracht, das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) neu aufgestellt, den kritischen Abschlussbericht der NSU-Akten nicht gekannt und den Rechtsterrorismus als „größte Bedrohung der Demokratie“ erkannt. Fazit I: „Der Mord an Walter Lübcke hätte nicht verhindert werden können.“ Nach dieser steilen These könnte der UNA seine Akten schließen, die restlichen Zeugen Bouffier und Beuth (beide ehemalige hessische Innenminister) wieder ausladen und den Abschlussbericht bleiben lassen. Es ist wohl alles gesagt. Behördenversagen gab es nicht, weil der Innenminister Rhein alles richtig gemacht hat, so der MP Rhein heute zu seiner damaligen Arbeit. Es gilt zu beachten: In Hessen beginnt der Wahlkampf zur Landtagswahl am 08. Oktober 2023.

Freilich bleibt ein Widerspruch: Wenn der LfV wirklich gut aufgestellt gewesen wäre, wie der MP behauptet, und seine Arbeit ordentlich gemacht hätte, dann wäre doch der Mord an Walter Lübcke möglicherweise nicht passiert. Das heißt konkret, die Personal-Akte des rechtsradikalen Mörders Stephan Ernst weiterbearbeitet worden wäre, er weiter unter Beobachtung geblieben wäre, das Bild der Sonnwendfeier mit Ernst bei dem Neonazi Heise erkannt und ernst genommen worden wäre, die Vermerke von einem Mitarbeiter und dem Präsidenten Eisvogel des LfV zur Gefährlichkeit des Ernst verarbeitet worden wären,  die Teilnahme an Neonazi-Demos verfolgt worden wäre, der Mordversuch an Ahmed I. ebenso gewissenhaft wie die Ernst-Verbindungen zur AfD bearbeitet worden wären, dann, ja dann, wäre die zweifelhafte Gewissheit des MP zumindest diskussionswürdig. Nur, all das ist nicht geschehen.

Dabei ist zu beachten, dass die politische Verantwortung für all diese Versäumnisse nicht allein dem Staatsekretär (2009-2010) und dem Innenminister Rhein (2010-2014) anzulasten sind, weil die Geschehnisse und Aktivitäten des Ernst nicht sämtlich in seine Amtszeit fielen. Immerhin hat er die Erstellung der NSU-Akten (Rhein: „Böhmermann-Berichte“) veranlasst, die die schlampige Arbeitsweise des LfV transparent gemacht haben. Offenbar gab es schon Hinweise auf die Schlampereien im LfV, die ihn zur Untersuchung veranlassten.

Zwischenberichte ließ er sich nicht zeigen und als der Endbericht fertig war, interessierte ihn das als Wissenschaftsminister nicht mehr. Sein Nachfolger Beuth wollte besser dieses Dokument des Versagens für 120 Jahre wegschließen. Fazit II: Weder stimmt also die Schönfärberei seiner eigenen Arbeitsleistung noch die These, dass der Mord an Walter Lübcke nicht hätte verhindert werden können.

Es bereitet als interessierter Zuhörer und Begleiter des UNA kein wirkliches Vergnügen zu sehen, wie die zuständigen Politiker und zum Teil auch die Spitzenbeamten mit ihrem eigenen Tun und ihrer Verantwortlichkeiten umgehen. Das Eigenlob und die ungeheuerliche Selbstgewissenhaft vieler Politiker*innen kann in vielen Fällen den Verdruss an der Politik und ihren Akteuren verstärken und letztlich auch zur Verdrossenheit und zu sinkender Wahlbeteiligung beitragen. Ein weiteres Beispiel dieser Art mussten denn auch am Freitagnachmittag die Ausschussmitglieder und die sehr, sehr wenigen Besucher sowie die restlichen Pressevertreter über sich ergehen lassen. Für das Mitglied des Deutschen Bundestags (MdB), Dr. Heck – ein ehemaliger Staatssekretär unter Beuth von 2019 bis Oktober 2021, 40 Jahre alt, mit 32 Jahren schon eine Legislaturperiode MdB, vorher Vorsitzender der Jungen Union in Hessen, Reserveoffizier, promovierter Jurist (immerhin einen Berufsabschluss, was bei deutschen Spitzenpolitikern auch nicht mehr Standard ist) mit Anwaltspraxis in Marburg neben dem Bundestagsmandat – brauchte der UNA nur eine Stunde Befragung. Der Zeuge sagte ganz im Stile eines Reserveoffiziers kurz und knapp: inhaltlich nichts, außer vielleicht eins: „Das LfV war hervorragend gut aufgestellt.“

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