Temme kommt – und sagt nix. Aber es gab mehr als das.

Groß, dick, Brille, Glatze und ein Hauch von Oberlippenbart. Alles Ex bei Temme: Verfassungsschutz, Quellenführer, Mordverdächtiger, „Klein Adolf“ aus Hofgeismar. Nur sein Beamtenstatus und seine Aussageroutinen sind aktuell: Beamter beim Regierungspräsidium (Abteilung Abfall?) und „Kenn ich nicht“, „Weiß ich nicht“. Schon als Mordverdächtiger und Zeuge im NSU-Mordfall Halit Yozgat 2006 war er nicht zu greifen. Kein Wunder, wenn die harmlosen Fragen wie am 20.07. im Lübcke-Untersuchungsausschuss etwa so gestellt wurden: „Kennen Sie Stefan Ernst?“: “Nein”; „Kennen Sie Markus Hartmann?“, “Nein”; „Kennen Sie Sawallich?“, „Nein“; „Kennen Sie Tschentscher?“, „Nein, Ernst und Hartmann vielleicht aus den Medien“. Das war das Temmeniveau am Mittwochnachmittag um 17 Uhr in Wiesbaden im Hessischen Landtag.

Die Medienvertreter waren zuhauf wegen Temme gekommen und zogen enttäuscht nach einstündiger Vernehmung nach Ende der Sitzung wieder ab. Temme war, nach eigener Aussage, nur zu 5 bis 10% „Quellenführer“ (Verfassungsschutzjargon für das Führen von V-Leuten) im Bereich Rechtsextremismus und im Rest seiner Zeit Quellenführer „Islamismus“. Man stelle sich vor: ein großer, deutscher, weißer Mann in einer Moschee in Verabredung mit seiner muslimischen „Quelle“, auf Socken und Knien, im Gespräch mit seiner Quelle; Unsinn, nein, natürlich konspirativ vielleicht im Café Nenninger, oder unauffälliger in der Königsgalerie? Temme als Islamistenjäger? Ein Witz!? Wichtiger: Seine Rolle in der rechtsextremistischen Szene bleibt der Öffentlichkeit verborgen, das wissen nur er selbst, das LfV, das Hessische Innenministerium und seine Minister. Es bleibt dabei: Temme wird geschützt und bleibt Beamter des gehobenen Dienstes des Landes Hessen.

Als ergiebiger, wenngleich auch ohne Erkenntniszugewinn in der Kernfrage des verschwundenen Sichtvermerks zur Gefährlichkeit von Ernst der ehemaligen LfV-Mitarbeiterin 2015, (siehe  ), erwiesen sich die Einsichten in Verwaltungsvorgänge im LfV. In der vierstündigen (!) Befragung der Mitarbeiterin, die, ausgesetzt einer Quälerei durch einzelne Abgeordnete, erstaunlich stabil bei ihrer Aussage blieb. Der Sichtvermerk auf Hinweis eines Kollegen zur Gefährlichkeit von Ernst wurde von ihr verfasst, weitergleitet und, so ihr eingestandener Fehler, nicht weiter „remonstriert“, wie der Abgeordnete und Jurist Müller (CDU) immer wieder aufs Neue quälend nachhakte, um, so der Eindruck, die Zeugin unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Es ging in der Befragung um viele Häkchen an Akten, gemachte und nicht-gemachte, an richtigen Stellen, an fehlenden Häkchen, um richtige Akten an falschen Stellen (etwa bei der Abteilungsleiterin im Schrank), Verfahrensvorschriften und falschen Entscheidungen (etwa im Umgang mit der P-Akte von Ernst).

Besonders kritisch wurde die Befragung als es um die verwaltungstechnischen Folgen des nach den NSU-Morden politisch angeordneten Löschmoratoriums ging, nach dem es keine automatischen Löschungen von Akten in Beug auf Rechtsextremismus mehr geben sollte. Eine folgenschwere Entscheidung, die schließlich bis zum Jahr 2015 zu einem Aktenberg von 1.345 abzuarbeitende Akten führte. Hierauf wurde zur Erhöhung der Bearbeitungseffizienz  auf Veranlassung der Vorgesetzten das schon erwähnte (siehe   ) Schnellverfahren von der Zeugin entwickelt. Das führte allerdings zu einem erheblichen Qualitätsverlust in der Bearbeitung der Akten und letztlich zum ungeprüften, mit einem nicht funktionierenden Vier-Augen-Prinzip und zwei Häkchen versehenen elektronischen Durchwinken der Ernst-Akte. Das wundert nicht weiter, da der Aktenstau eine elektronisch gestützte Bearbeitungszeit pro Akte von ca. zwei Minuten erforderte, um in der vorgegebenen Bearbeitungszeit der gesamten Akten von drei bis vier Wochen zu bleiben. Ein unsinniges Unterfangen, das letztlich durch die politischen Entscheidungen des Ministeriums herbeigeführt worden war, das ein Löschmoratorium entschieden hatte, ohne die verwaltungstechnischen Voraussetzungen, sprich: Personalerhöhung mitzuentscheiden. Ein klägliches politisches Versagen, das letztlich zur völligen Fehleinschätzung hinsichtlich der Gefährlichkeit von Ernst („abgekühlt“) führte.

Der zweite Hammer folgte mit der Vernehmung der zweiten Zeugin, einer sprachgewandten, promovierten Politikwissenschaftlerin und ehem. stellvertretenden Dezernatsleiterin im Bereich Rechtsextremismus. Nach Gesetzeslage (Hess.VerfassungsschutzG § 16 (7)) „prüft (das Landesamt) bei der Einzelfallbearbeitung … ob gespeicherte personenbezogene Daten zur Aufgabenerfüllung noch erforderlich sind.“  In dem erwähnten Schnellverfahren wurde nichts geprüft oder wurden gar zusätzliche Akten gezogen. Ziel war es, so schnell und effizient wie möglich Akten zu sperren und damit der weiteren Bearbeitung, also zusätzlicher personeller Beanspruchung, zu entziehen. Hermann Schaus und seiner Mitarbeiterin Luise Hecker (Die Linke) ist es zu verdanken, dass dieses Vorgehen als „Gesetzesverstoß“ (Schaus) zur Sprache kam und ein gewisses Erstarren bei einigen Obleuten aus den Regierungsparteien auslöste. Dies vor allem deshalb, weil die in Rede stehende Zeugin unverblümt und frei einräumte: „Ja, das kann man so sehen.“ Da half dann auch das anschließende Reingrätschen der CDU und der Grünen nichts mehr. Das Ding stand fett im Raum.

Damit war denn auch der Höhepunkt der Sitzung erreicht, dessen Tiefpunkt die erwähnte Befragung des Temme darstellte, die auch nicht durch den endlich mehr oder weniger freien Lauf der gesamten Zeugenbefragungen durch den Vorsitzenden Heinz (CDU) geschönt werden konnte.

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