…und wieder ein Schritt vor – vielleicht.

Im Offenen Kanal ging’s am Montagabend den 30.11. um den Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke (UNA 20/1). Der kommt, wie gehabt, nicht vorwärts, weil die Akten fehlen und ein coronabedingter Besucherstop durch den Landtagspräsidenten vorliegt. Nun trafen sich zur öffentlichen Diskussion die Landtagsabgeordneten und UNA-Mitglieder Vanessa Gronemann (Grüne) und Günter Rudolph (SPD) mit Michael Lacher als Vertreter von NACHGEFRAGT oder wie der Moderator Lukas Kiepe (Politikwissenschaftler, Uni Kassel) ansagte: der Zivilgesellschaft. 

Es ging, mal wieder, um nicht vorhandene Akten, ein wenig um Nazis in Nordhessen, noch weniger um das Versagen des hessischen Verfassungsschutzes und – um die Politik der Hessischen Landesregierung. Da sind wir schon beim Punkt: Worum ging es eigentlich nicht (oder nur am Rande): Um die erbärmliche Rolle der Justiz bei der Freilassung des Mitangeklagten Markus Hartmann, den Innenminister Beuth und sein dauerndes Versagen bei der Verfolgung von NSU 2.0, den Rechtsradikalen in der Polizeibehörde und, wie Vanessa Gronemann zurecht anmerkte, um die AfD. 

Unserer direkt gewählten Grünen-Abgeordneten geht es ein wenig wie den Grünen im Dannenröder Forst: „Eigentlich würd ich gern, aber dürfen tu ich nicht.“ Da wäre die AfD gerade recht gekommen: Da dürfen (fast) alle zulangen – zurecht. Und beim Hessischen Innenminister? Da dürfen die Grünen nicht so richtig, lieben müssen sie ihn auch nicht, aber besser still sein. Alles andere könnte den schwarz-grünen Koalitionsfrieden stören. Und wie soll das im UNA funktionieren? Der persönliche Aufklärungswillen der Abgeordneten kann kaum bestritten werden. Aber im UNA müssten Beweiserhebungen und Zeugenbefragungen möglichst einvernehmlich erfolgen (§14 Untersuchungsausschussgesetz). Nun liegt es auch an den Grünen z.B. einen Innenminister Beuth als Zeugen vorzuladen, selbst wenn die CDU das nicht will. Der müsste nämlich Stellung beziehen: zu der Rolle des Verfassungsschutzes (LfV) im Fall Hartmann, der nachweislich Kontakt zum LfV hatte oder noch hat; zum ehem. Verfassungsschützer Temme und seiner Beziehung zu Hartmann; zu der Frage, ob Hartmann ein V-Mann ist oder war; Fragen vielleicht auch zu den „Nazi-Anwälten“ (so wollen sie nicht genannt werden) von Hartmann, Dr. Schneiders und Dr. Clemens, die möglicherweise im Kontakt zum LfV stehen und Fragen zu den Geldzuwendungen, die das LfV auch in Hessen möglicherweise V-Leuten zukommen lassen und schließlich zu der weiterhin von (polizeiinternen) NSU 2.0 bedrohten und noch immer ungeschützten Rechtsanwältin Basay-Yildiz. Alles unschöne Themen, die in den UNA gehören, aber der CDU nicht gefallen dürften und bei denen die Grünen auf die Gefahr hin, den schwarz-grünen Koalitionsfrieden zu gefährden, ihre Haltung als Bürgerrechtspartei bekennen müssten. Trauen sich die Grünen bei der CDU unbeliebt zu machen? Wir werden sehen.

Immer wieder Hartmann – so könnte es heißen. Der war Thema in der Diskussionsrunde, sagt aber vor Gericht nichts, weil das am besten ankommt. So jedenfalls die Erfahrung aus den NSU-Prozessen. Schweigend kam auch der Neonazi Eminger frei. Dafür jammert der Hartmann-Anwalt Dr. Clemens vor Gericht am 01.12 (der hatte auch schon einen Auftritt in Kassel bei der rechtsradikalen Burschenschaft „Germania“ und kämpft für die NPD-nahe „Gesellschaft für freie Publizistik“), dass Hartmann selbst ein Opfer sei, er habe schließlich durch die Anklage zur Mordbeihilfe „seine Wohnung, seine Arbeit, seine Freunde und für 15 Monate seine Freiheit verloren“, so die HNA v. 02.12. Erstaunlich ist, dass bei so viel Hartmann-Leid derselbe im Gerichtssaal mit seinen Anwälten scherzt, lächelt, schlimmer noch: permanent die Nebenklage angrinst und insgesamt einen äußerst entspannten Eindruck macht. Dies hat Gründe: Hat doch der Psychiatrie-Professor Leygraf am 19.11. die volle Schuldfähigkeit von Ernst bestätigt und damit Ernst’s mögliche Abhängigkeit von seinem nazistischen Spiritus Rector Hartmann indirekt verworfen, was Hartmann wieder zu seinen verloren geglaubten Nazi-Freunden zurückbringen kann. Clemens und Hartmann, die Brüder im Geiste, können also miteinander scherzen.

„Gerichte darf man kritisieren“, so Günther Rudolph an der besagten Diskussionsrunde. Die Zweifel an Hartmanns Unschuld, die der Richter Sagebiel beharrlich relativiert, bleiben also. So bleiben auch Zweifel an der Unabhängigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit, die möglicherweise der Exekutive einen Dienst erweist und Hartmann weiter seinen behördlichen Auftrag machen lässt. Gewiss, alles Spekulation. So wie es Spekulation ist, dass es Rechtsradikale waren, die den Ex-Anwalt von Ernst, Frank Hannig, an einer Raststätte in Döbeln (Mittelsachsen) krankenhausreif geschlagen haben. Hannig und sein Gehilfe Zabel von der AfD hatten angeblich belastendes Material gegen Hartmann im Gepäck. Hartmann hat keine Freunde mehr, so sein Anwalt Dr. Clemens, der NPD-Freund. Das alles kann im Lübcke-Untersuchungsausschuss zur Sprache kommen. Das alles kann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wenn sie denn Zugang zu den Sitzungen bekommt. Das wird kommen, so die Meinung von Rudolph. Das wäre dann ein Schritt vorwärts.

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