Zwei Sachverständige im Lübcke-Untersuchungsausschuss
Am Freitag d. 23.04. wurden die Sachverständigen Prof. Dr. Gunter Warg von der Hochschule des Bundes und Dr. Benjamin Rusteberg von der Uni Göttingen durch die Mitglieder des Lübcke-Untersuchungsausschusses (UNA 20/1) befragt. Das Ziel der Befragung sollte sein, den rechtlichen Rahmen zur Untersuchung des möglichen Behördenversagens bei der Ermordung von Walter Lübcke abzustecken. Dabei konnten die Einlassungen der Experten unterschiedlicher nicht sein. Der eine, Ausbilder von Mitarbeiter*innen der Nachrichtendienste, der andere Wissenschaftler, der sich juristisch mit der Rolle und der Praxis des Verfassungsschutzes befasst. Der Ansatz des Göttinger Wissenschaftlers ist es, das sog. Trennungsverbot von, in unserem Falle, Verfassungsschutz und Polizei in Frage zu stellen, weil diese Behörden strukturell nicht bereit und in der Lage, sind ihre behördliche Zusammenarbeit so zu organisieren, dass sie dem Generalziel, nämlich den Schutz der Freiheitlich demokratischen Grundordnung (FdGO) zu entsprechen. Sollen die einen, der Verfassungsschutz, (verdeckt) Daten sammeln und bewerten, um mögliche “extremistische Gefahren” abzuwehren, sollen die anderen (vereinfacht gesprochen) Strafverfolgung unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft vornehmen. Dass hierbei Informationen der Nachrichtendienste für mögliche (extremistische) Straftaten zur Verwendung in der polizeilichen Strafverfolgung unerlässlich sind, liegt auf der Hand. Die Schnittstelle zwischen Verfassungsschutz und Polizei liegt im Informationsaustausch von verlässlichen Daten, was bei unterschiedlichen Aufgabenstellungen der Behörden zu erheblichen Friktionen führen kann und nach Ansicht des Wissenschaftlers auch immer wieder kommt. So wird die Verlässlichkeit und Güte der gesammelten Daten sowie die Analysefähigkeit von Mitarbeite*innen des Verfassungsschutzes in Frage gestellt. Vor allem der zielführende Einsatz von sog. V-Leuten, die nicht selten neonazistische Aktivisten sind, durch den Verfassungsschutz, wurde von Rusteberg in Zweifel gezogen. Finanziert und geführt vom Verfassungsschutz werden nicht selten Mittel zum Ausführen von Straftaten eingesetzt, die schließlich die Polizeibehörden verfolgen und nachweisen sollen, was notwendigerweise zu Interessenkonflikten der Behörden führt. Im Falle des Mörders an Walter Lübcke, Stephan Ernst, kommt noch hinzu, dass nach seinem vermeintlichen “Abkühlen” er noch immer im rechtsradikalen Milieu sich bewegt hat – so nahm er z.B. an einer sog. Sonnwendfeier 2011 bei dem bekannten nazistischen NPD-Kader Thorsten Heise in Fretterode (Thüringen) teil – , ohne dass der Verfassungsschutz das (nachweislich) verfolgt hätte. Hier steht die nächste Frage nach der Qualifikation der Mitarbeiter*innen des Dienstes, die angesichts der Erfahrungen im NSU-Verfahren mit dem hauptamtlichen Mitarbeiter Temme, der die Kasseler Nazi-Szene “betreute”, doch in erheblichem Maße in Zweifel gezogen werden kann. Hier kommt der ausbildende Professor Warg ins Spiel, der außer allgemeinen Hinweisen auf das Duale Studium und dem Training “on the Job” keine überzeugende Darstellung der Ausbildung der “Verfassungsschützer*innen” bieten konnte. Eine Steilvorlage für den Göttinger Wissenschaftler? Der fordert seinerseits eine Aufhebung des “Trennungsverbots” und den Verzicht auf den Verfassungsschutz generell, dessen Aufgaben in den polizeilichen Dienst übergehen sollten. Ob dieser Strategiewechsel angesichts der historischen Erfahrungen mit der Gestapo zielführend ist, kann bezweifelt werden. Wass allerdings unzweifelhaft sein dürfte, ist die überfällige demokratische Kontrolle des Verfassungsschutzes. Wer hierin eine Aufgabe des Parlaments sieht, sieht sich getäuscht, was auch eine wesentliche Erkenntnis der Sitzung des UNA 20/1 am Freitag gewesen sein dürfte, denn die Information der Dienste ist nur gegenüber dem Minister verpflichtend. Das heißt aber auch, dass der hessische Minister Beuth vor dem UNA 20/1 als Zeuge geladen werden sollte, denn der Minister ist dem Parlament gegenüber informationspflichtig. Das sollte die unbedingte Forderung der Zivilgesellschaft werden.