Viel gewusst und ahnungslos

Der Oberstaatsanwalt Killmer ist Beamter der Bundeanwaltschaft, genauer: des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der Oberstaatsanwalt Killmer ist schnell, präzise, zielgerichtet und gut vorbereitet. Er wirkt sachkompetent, seriös und unbeirrbar. Allein Sachargumente, so scheint es, können ihn überzeugen. Die Aufklärung der weiteren Umstände des Mordes an Walter Lübcke, soweit sie Teil der Arbeit der Bundeanwaltschaft sind, liegen, so scheint es zudem, bei Killmer in guten Händen. Zumindest suggeriert das sein Auftritt im Lübcke-Untersuchungsausschuss (UNA) am 11.02.22. Angesichts der teils miserablen Auftritte des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) im UNA wirkt es gleichwohl erstaunlich, wenn Killmer seine Zusammenarbeit mit dem LfV als „ermutigend“, „transparent“ und „intensiv“ beschreibt und alle nötigen Informationen seitens des Dienstes als „verwertbar“ und „transparent“ qualifiziert. Bleibt zu hoffen, dass der Oberstaatsanwalt für politische Einflussnahmen von außen so immun bleibt, wie er sich als Zeuge gibt.

Der Oberstaatsanwalt Killmer war in seiner Laufbahn intensiv mit rechtsterroristischen Gewalttaten befasst, insbesondere mit dem NSU. Von daher sind ihm die handelnden Personen, Ernst und Hartmann, im Mordfall Walter Lübcke in ihrer psychischen und gedanklichen Disposition nicht fremd: „Hartmann hat Ernst zur Waffenbeschaffung getrieben“, so die Einschätzung von Killmer. In den Aussagen des Zeugen standen die Waffenbeschaffung, ihre Lagerung und Bearbeitung, die Anzahl und Arten im Vordergrund der Befragungen durch die Ausschussmitglieder. Waffen gab es bei Ernst und Hartmann reichlich: Pistolen, Langwaffen, Maschinenpistolen, Deko-Waffen und Schalldämpfer. Zusammen dürften Ernst und Hartmann an die 40 Waffen gehortet haben. Die Mordwaffe, eine Pistole vom Typ Rossi, wurde „gekauft, um Walter Lübcke zu ermorden“, ist der Oberstaatsanwalt überzeugt. Das legt die Vermutung nahe, dass Hartmann, der Antreiber des Ernst zum Waffenkauf, den Zweck der Waffenbeschaffung kannte. Dies war auch ein Grund, warum Killmer im Prozess beim OLG Frankfurt Hartmann der Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke beschuldigte und noch aktuell der Meinung ist, dass Hartmann der „planerische Typ“ war und Ernst sich „hat leiten lassen“ (Killmer).

Bleibt überdies die Frage der Finanzierung der Mordwaffe: 1.100 € hat die Rossi gekostet. Ernst mit schmalem Gehalt, Familie und Einfamilienhäuschen hat wohl eher an der Kante gelebt. Für ihn ein ziemlich dicker Brocken so ein Waffenkauf. Hartmann dagegen mit schwunghaftem Waffenhandel und regelmäßigem Einkommen als Single – zugegeben im Sorgerechtsstreit mit seiner ehem. Lebensgefährtin – war dann doch etwas flüssiger. Was spricht gegen eine wohlwollende pekuniäre Unterstützung, zumindest für einen überschaubaren Zeitraum, bei der mörderischen Vorbereitung auf den „Tag X“? Wenn’s um die gemeinsame Sache geht, lassen sich Kumpels wie Ernst und Hartmann doch nicht im Regen stehen, oder? Wäre es nicht seitens der Bundesanwaltschaft verdienstvoll gewesen, die Geldflüsse des Mörders und seines Helfers genauer unter die Lupe zu nehmen? Das dürfte nun eine vergebene Chance sein, falls es nicht geschehen sein sollte, was die Kompetenz des Killmer nahelegt.

Bleibt in der Befragung des Zeugen Killmer noch eine tragische und ungelöste Frage nach dem Mordversuch an Ahmed I 2016. Dieser Vorgang liegt Killmer „noch sehr am Herzen“, wie er überzeugend vorträgt, zumal das Opfer im Lübcke-Prozess von dem vorstehende OLG Richter Sagebiel einer schändlichen Befragung unterzogen worden war. Angesichts der Zielstrebigkeit des Killmer darf man sicher sein, dass das Thema noch nicht ausgestanden ist. „Die Grundlagen, dass er (Ernst) es hätte sein können, sind vorhanden,“ allein die „hinreichenden Beweise“ fehlen, da die DNA-Spuren an der Tatwaffe, einem Messer, in Umfang und Beschaffenheit Ernst nicht gänzlich als Täter hat infrage kommen lassen.

Zwischen 350 und 400 Emails mit beleidigendem und gefährdendem Inhalt waren nach der bekannten Lohfeldener Bürgerversammlung im Oktober 2015 eingegangen, nachdem Hartmann das bekannte Video mit Ausschnitten des Vortrags von Walter Lübcke ins Netz gestellt hatte. Ein rechter Shitstorm war losgebrochen, was denn auch den polizeilichen Staatsschutz auf den Plan rief. Zudem kamen noch Telefonanrufe, die der damalige Pressesprecher des RP, Zeuge im UNA vom Freitag, unter Kontrolle halten konnte. In sieben Fällen ermittelte der Staatsschutz, dessen damaliger Leiter gleichfalls Zeuge war. Sämtliche Ermittlungen wurden eingestellt. Sei es, weil sie erfolglos waren oder Lübcke in Sachen Beleidigungen keine Strafanzeige wünschte. Die Akte wurde bis Dezember 2015 geführt, dann geschlossen, Streifenwagen fuhren noch gelegentlich in Istha am Privathaus Lübckes vorbei. Es wurden „keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung“ festgestellt. Ein Personenschutz wurde so nicht angefordert. Ernst und Hartmann „spielten“, aus Sicht des Staatsschutzes, in dieser Zeit „keine Rolle“. Von allen Seiten eine dramatische Unterschätzung der Lage. Dazu gehört auch, dass der Staatsschutz zu diesen Ereignissen keinen Kontakt zum LfV aufgenommen hatte.

Von Oktober 2015 bis zur Ermordung Lübckes am 1. Juni 2019 war eine recht lange Zeit. Die Nazi-Szene in Kassel und Nordhessen war in diesem Zeitraum „ein gäriger Haufen“, wie Gauland (AfD) sagen würde. Es wurde Wahlkampfhilfe für die AfD gemacht, wurden Waffen beschafft, Schießübungen durchgeführt, an NPD-Demos teilgenommen und im August 2018 in Chemnitz die große Vereinigung des rechten Lagers mitzelebriert. In dieser Zeit dürfte auch der Plan zur Ermordung Lübckes gereift sein. Die Polizei und die Dienste gaben sich ahnungslos.

 

 

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