Vom „traumatisierten“ Zeugen Hartmann und Anderen

Bevor ein Wort gefallen war und der Zeuge Hartmann einen Fuß in den Fraktionssaal der CDU gesetzt hatte, kam Hektik auf. Der Zeuge weigerte sich offenbar auf dem üblichen Weg zum Lübcke-Untersuchungsausschuss am 14.12.2022 in den Wiesbadener Landtag zu kommen. Wie nicht anders zu erwarten, standen eine Reihe von Fotografen und TV-Teams vor dem Aufzug und erwarteten ungeduldig den prominenten Rechtsradikalen. Der kam nicht. Er fürchtete offenbar die Presse, was die Verantwortlichen des Ausschusses zunehmend nervös machte, und die Journalisten aufforderte, sich zurückzuziehen, was die wiederum mit dem Verweis auf Artikel 5 GG und der Freiheit der Berichterstattung durch TV und Rundfunk verweigerten. Wie es offenbar auch bei solchen Prominenten üblich ist, er kam schließlich unter den Augen von Helmut Kohl, dessen Konterfei im Sitzungssaal hängt, durch die Hintertür zur Vernehmung.

Hartmann kam mit dicker grau-brauner Winterjacke, Rucksack, kahlgeschorenem Kopf, hellgrauem Hoodie und dunkler Schlabberhose ohne seine Anwältin Schneiders zur Vernehmung. Das war insofern erstaunlich, als bei dem letzten Vernehmungstermin aufgrund einer dienstlichen Verhinderung der Anwältin der Termin geplatzt war. Offenbar fühlte sich der rechtsradikale Zeuge sicher genug, zunächst ein allgemeines Auskunftsverweigerungsrecht in Anspruch nehmen zu können und nach einer Rechtsbelehrung durch den Vorsitzenden des Ausschusses Heinz (CDU) doch, wie sich anschließend herausstellte, zumindest partiell als Aussagender zur Verfügung zu stehen. Das allein war schon eine Provokation dem parlamentarischen Ausschuss gegenüber. „Dazu kann ich keine Auskunft geben“ war denn auch der meistverwendete Satz bei der Vernehmung, der dann häufig mit dem Zusatz versehen wurde, „da würde ich mich selbst belasten“ oder auch „das können Sie den Prozessakten entnehmen“ oder auch „da kann ich mich nicht erinnern“. Das war denn schon ein frecher Auftritt des wegen illegalen Waffenbesitzes Vorbestraften, der dann nach Vorhaltungen des Linken Felstehausen bzgl. seiner selbstgebastelten Nazi-Devotionalien in der Gefängniszelle mit dem unverschämten Hinweis, er sei wohl „traumatisiert“ keine weiteren Auskünfte zu diesem Sachverhalt gab.

So selbstbewusst, frech (an Rudolph,SPD: „Sie müssen da schon differenzierter Fragen“) und substanzlos der Zeuge auftrat, desto stärker erlahmte der Antrieb der Fragenden aus den Fraktionen. Der Abgeordnete Müller (CDU) warf als Erster das Handtuch und zog sich mehr oder weniger gelangweilt zurück. Es folgten die Grünen mit Frau Goldbach mit Ultrakurzbefragungen, die Oppositionsparteien mühten sich redlich, außer der AfD, die nicht eine Frage an den Zeugen richtete. Nun kann man trefflich über die Gründe spekulieren, nur eins ist offensichtlich: Die Partei wollte bei einer eigenen Befragung wohl das Risiko vermeiden, dass ein möglicher verbaler Ausrutscher Hartmanns (gewollt oder ungewollt) sie in irgendeine Nähe des Rechtsradikalen hätte bringen können. Dies hätte sich vor allem bei der Nähe zum  Themenkomplex zur islamfeindlichen „Kagida“ zeigen können. Diese Leute wiesen 2014/2015  aufgrund ihrer Ausländerfeindlichkeit Bezüge zur AfD auf und stellten vor allem mit dem damaligen AfD-Funktionär Mattis einen kommunalpolitischen Redner auf den Kagida-Veranstaltungen zur Verfügung. Besonders brisant hätte freilich eine eigene Befragung durch einen AfD-Obmann werden können, als es um die Teilnahme von Hartmann zusammen mit dem Mörder Walter Lübckes, „Herrn Ernst“ (so Hartmann), auf der von der AfD organsierten Großdemo im September 2018 werden können, die bekanntlich eine Zusammenführung des gesamten rechten Lagers darstellte. Hier konnte Hartmannn auch nicht ausweichen, weil es Bildmaterial als Beweise gab. Erstaunlich ist aber, dass auch die anderen Parteien keine expliziten Bezüge von Hartmann zur AfD versuchten herauszuarbeiten. Dabei war bekannt, dass Kagida-Aktivisten in erster Reihe auf der berüchtigten Lohfelden-Veranstaltung im Oktober 2015 die vielzitierte Rede von Walter Lübcke störten und der ebenfalls anwesende Hartmann die verunglimpfend zusammengeschnittenen Auszüge der Rede Lübckes später ins Netz stellte. All diese Bezüge, die eine Grauzone und einen fließenden Übergang zwischen der AfD und rechtsradikalen bis hin zu rechtsterroristischen Aktivisten definieren können, wichen die AfD-Vertreter im Landesparlament mit ihrer Frageverweigerung aus. Ob sie mit dieser Taktik einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen können, ist eine offene Frage. Für Hartmann war dieser unverschämte Besuch im Hessischen Parlament allerdings ein Auftritt nach Maß. Ob sich der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Behördenversagens beim Mord an Walter Lübcke mit der Ladung des Zeugen Hartmann einen Gefallen getan hat, ist eine andere Frage, die sich die Angeordneten selbst stellen sollten.

Indes war die Hartmann-Befragung nicht der einzige Tagesordnungspunkt des nur von einer  Mittagspause unterbrochenen neunstündigen Fragemarathons. Fast die Hälfte dieser Zeit nutzte der ehem. Verfassungsschutzpräsident (2015 bis 2022) und jetzige Polizeipräsident des Landes Hessen, der 64jährige Robert Schäfer, um sich als strategisch denkender und praktisch versierter Verfassungsschützer darzustellen. Ein redegewandter, selbstsicherer Spitzenbeamter, der keine Gelegenheit ausließ, seine konzeptionellen Überlegungen zur Optimierung des Verfassungsschutzes mit dem Ziel darzustellen, die Behörde „transparenter, präventiver, digitaler“ zu machen. Seine in 40 Einzelschritte zerlegten Vorschläge beinhalteten ein Reihe von Verbesserungen der Leistungsfähigkeit der Organisation, die in ihrer Praxis durchaus die Funktionsfähigkeit des Amtes hätten erhöhen können. Sie beinhalteten nicht nur die quantitative Aufstockung der Behörde von 253 (2015) auf 381 (2022) Mitarbeiter*innen, sondern sollte vor allem auch in qualitativer Hinsicht die Ergebnisse des Amtes  verbessern. So konnte er sich rühmen, nicht nur 200 Wissenschaftler*innen (gemeint waren wohl Hochschulabsolventen) eingestellt, sondern darüber hinaus in erheblichem Maße die Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Generalbundesanwalt (GBA) verbessert zu haben. Der Zeuge wartete da immer mal wieder mit beeindruckenden Selbsteinschätzungen und Zahlen auf: So wurde gegenüber dem GBA „keine einzige Frage nicht beantwortet“, so war die Zusammenarbeit „vertrauensvoll, transparent, umfassend“, was schließlich alles in allem zu 570.000 Aktenzeichen („Wow“) an den GBA geführt haben sollen. Ein außergewöhnlicher kompetenter Hessischer Beamter, dem auch die Selbstkritik nicht fremd ist. So gab er Versäumnisse in der Frage der Aktensperrung von Ernst zu, einem Drohbrief an Walter Lübcke nicht nahgegangen zu sein, aus heutiger Sicht eine Beschwerde des LfV beim Verwaltungsgericht hinsichtlich der Waffenbesitzkarte von Hartmann angezeigt gewesen wäre sowie die Bearbeitung der „Likes“ von Hartmann in den einschlägigen rechtsradikalen Foren „unglücklich gelaufen“ sei.

Offenbar waren die Mitglieder des Untersuchungsausschusses von der Beamtenperformance so beeindruckt, dass die eklatanten Versäumnisse der LfV-Beamten und Beamtinnen bei der Bearbeitung der Ernst-Akte unter den Tisch fielen. Vor allem der Hinweis eines bislang nicht befragten Beamten an seine Kolleginnen zur Gefährlichkeit von Ernst und der Empfehlung ihn weiter unter Beobachtung zu halten, wurde nicht erwähnt. Ebenfalls blieb die Aussage zum Aktenvermerk zu Ernst „brandgefährlich“ seines Vor Vorgängers Eisvogel in der Befragung von Schäfer undeutlich. Das ist immerhin eine Loyalitätsfrage eines ehemaligen Kollegen gegenüber, dem man vielleicht schätzt, dessen Versäumnis aber war, seiner eigenen richtigen Einschätzung zu Ernst selbst nicht weiter nachgegangen war.

Angesichts dieser beiden Zeugen, Schäfer und Hartmann, blieb der Auftritt eines ehemaligen etwas desolat wirkenden Dezernatsleiters „Beschaffung“ genauso blass wie die Aussagen eines smarten hochaufgeschossenen dunkelhaarigen 39jährigen Verwaltungsbeamten mit schwarzer FFP2-Maske, der mit einem Rechtsanwalt erschien, dessen Funktion in diesem Verfahren für einen Ausstehenden nicht ersichtlich war. Als Leiter der „Beschaffung Rechtsextremismus“ zwischen 2011 und Anfang 2016 wählte der selbstbewusste Beamte als Einstieg neben der Referenz an die „Lebensleistung des Walter Lübcke“ und seine Familie einige konzeptionelle Ausführungen, die für den geneigten Besucher zwar interessant waren, aber genauso wenig Substanzielles zum Behördenversagen beitrugen, wie die weitere Befragung des jungen Beamten durch die Ausschussmitglieder.

Überhaupt wurde im gesamten Verlauf des bisherigen Verfahrens deutlich, dass je niedriger die Befragten in der Hierarchie des Amtes arbeiten, desto deutlicher die Versäumnisse der Behörde wurden. Die Führungskräfte neigten in den Befragungen eher zur Beschreibung von Soll-Zuständen, als sich kritisch mit den Ist-Versäumnissen zu befassen. Gleichwohl haben die Befragungen der leitenden Beamten einen eigenen Wert bekommen, da sie einen tieferen Einblick in die Arbeitsweise eines Nachrichtendienstes erlaubt haben.

Ob die künftigen Einlassungen der verantwortlichen CDU-Politiker tiefere Einblicke in die politischen Entscheidungswege der hessischen Innenpolitik bei dem Versagen des LfV hinsichtlich der Ermordung ihres Parteifreundes Walter Lübcke erlauben werden, könnten die Befragungen der nächsten Monate zeigen.

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.