„Es lohnt sich in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten…“ (Walter Lübcke)
Als könnte sich Geschichte wiederholen: Im NSU-Prozess hatte das Schweigen Erfolg, nun muss sich der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass ein Nazi weiter sein Unwesen treiben kann. Markus Hartmann vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke frei zu sprechen, heißt, den Kameraden der rechtsterroristischen Szene nicht nur in Nordhessen wieder ein vollwertiges Mitglied zuzuführen. Die Szene wird wieder, wie schon im NSU-Prozess bei der Freilassung des rechten André Eminger, johlen und klatschen. Als fast schon selbstverständlich dürfte die lebenslange Haftstrafe mit (möglicher) anschließender Sicherheitsverwahrung für den Mörder Walter Lübckes, Stephan Ernst, gelten. Die Justizgeschichte wiederholt sich als Farce. Dabei bleibt die, nicht nur für Ahmed I., fast unerträgliche Erkenntnis, dass ein Mordversuch an Ausländer*innen in Deutschland nicht zuletzt aufgrund schlampiger Ermittlungen ungesühnt bleiben kann.
Die Verteidigung Hartmanns hat sich, wie nicht anders zu erwarten, durchgesetzt. Keine Reue, keine Entschuldigung, kein Danke: Es geht um Ansprüche des Mandanten. Ein Nazi hat Ansprüche, weil er, aus Sicht der Verteidigung, das Recht und das Grundgesetz achtet (keine Vorstrafen), weil er die Meinungsfreiheit beansprucht (als „Stadtreiniger“ gegen Ausländer), das Demonstrationsrecht nutzt („Chemnitz 2018“), legale Schießübungen auf „Merkel-Zielscheiben“ durchführt und nicht zuletzt sich um die Pressefreiheit in Deutschland Sorgen macht (die Verteidigung). Das und der Zyklon-B-Stifthalter, die Maschinenpistole im Wohnzimmer, die unzähligen NS-Devotionalien im Schrank, die Mitgliedschaft in nazistischen Kameradschaften und Hilfsorganisationen gehören sämtlich zu einem „Musterbeispiel legaler Lebensführung“ (Clemens) eines Markus Hartmann. Das ist anmaßend, frech und erfolgreich. Einmal mehr zeigt sich in den gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus: Frechheit siegt.
Die rechten Szeneanwälte von Markus Hartmann, Nicole Schneiders und Dr. Björn Clemens, waren am 26.01.2021 in ihren Plädoyers völlig frei von politisch-demokratischer Scham. So konnten sie nach Urteilsverkündung am 28.01. in zynischer Weise den „Sieg des Rechtsstaats“ (Clemens) verkünden und melden: „Wir können zufrieden sein“ (Schneiders). Das meint im Klartext: Die Rechte kann zufrieden sein.
Was macht einen Nazi wie Markus Hartmann zu einem freien Mann? In erster Linie ein Gericht, das keine Beweise für eine „psychische Beihilfe“ zum Mord an Walter Lübcke gesehen hat. So kommt es zu einem Freispruch von der Beihilfe. Die Bundeanwaltschaft hat dies grundlegend anders eingeschätzt. Der Rechtsstaat gibt dem Gericht diese Möglichkeit. Das ist gut so, aber als Demokrat nur schwer zu ertragen.
Gleichermaßen bitter erscheint der Umstand, dass das Gericht mit dem Freispruch die Argumentationslinie der Verteidigung bestätigt, obwohl nach Ansicht der Nebenklage noch viele Fragen offen geblieben sind. Die Verteidigung sieht Hartmann als Opfer. Opfer staatlicher Willkür, die legitime rechte Gesinnung verfolgt (RA Dr. Clemens: „Mein Mandant ist rechts“) und gegen Linksextremismus nicht entschlossen vorgeht; Opfer einer Bundesregierung, die eine Milliarde Euro zur Stärkung demokratischer Initiativen und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zur Verfügung stellt; Opfer der Presse – man ist aus Sicht der Verteidigung geneigt zu sagen „Lügenpresse“ –, die, nach Clemens, eine Kampagne gegen einen rechten Angeklagten fährt, der nichts anderes macht, als seine grundgesetzlich geschützten Rechte wahrzunehmen. Hartman ist ein Opfer von „öffentlicher Vorverurteilung“ (Clemens). In dieser Lesart rechter Anwälte werden Täter zu Opfern.
Das ist ein irrationales Denkmuster, das wir auch in der aktuellen politischen Auseinandersetzung um die Coronapolitik der Bundesregierung wiederfinden. So lassen die „Querdenker“ in dem rechten Szeneblatt „Compact“ (Spezial Nr.28) alle geistigen Hüllen fallen und denunzieren den demokratischen Rechtsstaat als „Militärdiktatur“ oder der Rechtsaußen-Journalist Jürgen Elsässer sieht die „Journaille … pöbeln“. Immer wieder diese Opfer-Attitüde auch der AfD mit ihrem jüngsten, dem Trumpismus entlehnten, Betrugsverdacht bei der Durchführung von Briefwahlen (ARD-Tagesthemen v. 16.11.2020). Mit dem antisemitisch-nazistischen Verschwörungswahn, der die “Querdenker” unter die vermeintliche Diktatur von jüdischen Finanzmagnaten zwingt, docken sie in ihrem Opferwahn auch politisch nahtlos an den Rechtsradikalismus an (s. Foto).
Aktuelles Beispiel der politischen Verzahnung von AfD und Rechtsradikalismus hat indes im Landkreis Kassel stattgefunden, als der bekannte Neonazi und Ernst-Kamerad Christian Wenzel (ehem. „Blood and Honour“) von der AfD eingeladen wurde, auf Platz 15 der Kommunalwahlliste zum Kreistag zu kandidieren. Nachdem die Antifa das spitz gekriegt und schlauerweise das erst getwittert hatte, als die Liste schon im Druck war und nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, empfahl der AfD-Kreisvorsitzende Kohlweg dem so Enttarnten, aus der AfD auszutreten und, „nachdem Gras über die Sache gewachsen ist“, wieder einzutreten. Kein Wunder, dass der Verfassungsschutz diese Partei zum „Verdachtsfall“ gemacht hat und es Kräfte gibt, die daraus eine „Überwachung“ machen wollen.
Kaum unverhohlener als die AfD selbst bedient die Hartmann-Rechtsanwältin Schneiders in ihrem Plädoyer am 24.01.2021 die politische Agenda der Rechten. Da wird der rechtsradikale Pegida-Aktivist Akif Pirinçci mit seinen Umvolkungsthesen zustimmend zitiert, vom Völkermord schwadroniert und der Verlust der „Identität des deutschen Volkes“ beschworen. Die Einlassungen der Rechtsanwältin erschienen im Gerichtssaal des Staatsschutzsenats wie aus dem Grundlehrgang eines Martin Sellner, dem führenden österreichischen Ideologen der „Identitären Bewegung“. Dem Rechtsstaat und seiner Gerichtsbarkeit in diesem Lande wird einiges abverlangt.
Die Hartmanns dieser Welt passen also in die „Querdenker“-Szene genauso wie sie nach Ansicht Schneiders‘ ihre völkisch-nationale Hybris leben sollen und wie ein Stephan Ernst Teil der AfD war und ein Blood-and-Honour-Mann wie Christian Wenzel sich auf der Kommunalwahlliste der AfD wohlfühlen sollte. Es kommt eben zusammen, was zusammengehört.
Der Freispruch des Markus Hartmann durch das OLG Frankfurt wird den Aktivitäten der neonazistischen Szene Auftrieb geben. „Erst recht ist der Gerichtssaal nicht der Ort, um gesellschaftliche Missstände zu räsonieren. Es geht um die individuelle Schuld der Angeklagten“, schreibt die FAZ v. 29.01.2021. Und doch kann sich das Gericht nicht der politischen Nebenwirkung entziehen, mit seinem Freispruch dem Rechtsextremismus nicht nur nichts entgegengesetzt zu haben, sondern auf seine Weise, nolens volens, dem nazistischen Treiben eher Vorschub geleistet zu haben. Damit hat das Gericht einerseits die politische Entgrenzung individueller Urteilsfindung deutlich gemacht und andererseits die Notwendigkeit des Einsatzes des hessischen Untersuchungsausschusses (UNA 20/1) unterstrichen. Ziel des UNA ist es, die Rolle der Behörden, insbesondere des Verfassungsschutzes, im Mordfall Lübcke zu untersuchen. Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen, mit denen sich der UNA auseinandersetzen muss (s. Kasten)
Die Einordnung des politischen Mordes an Walter Lübcke wird im Ausland genau beobachtet (vgl. z.B. New York Times online v. 28.01.2021; Zürcher Tagesanzeiger v. 29.01.2021). Damit wächst dem UNA zur politischen Aufarbeitung und Bewertung des Mordes an Walter Lübcke eine noch größere Rolle zu. Es bleibt zu hoffen, dass der Ausschuss seiner historischen Verantwortung für die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gerecht wird.
Ich bitte den Redebeitrag von Thomas Jansen, gehalten auf der Kundgebung am 28.01.21 in Kassel, unter Themen/Kolumne https://michael-lacher.de/9921-2 auf dieser website zu beachten
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für die gute Analyse. Jetzt muss der Untersuchungsausschuss weitere Abklärungen machen, insbesondere über die Verflechtungen zwischen Rechtsterrorismus, Rechtsparteien und Behörden/Polizei. Was wir schon länger wissen: es gibt auch zahlreiche Verbindungen zur ultrarechten Szene in der Schweiz.
“in dubio pro reo” : Dieser Grundsatz muss auch für Markus Hartmann gelten. Gleichwohl ist es schwer nachzuvollziehen und zu ertragen, dass dieser Mann vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke freigesprochen wurde und inzwischen sogar Revision gegen dieses Urteil eingelegt haben soll.
Ich hoffe sehr, dass die von der Bundesanwaltschaft angekündigte Revision mehr Licht in das nach den Frankfurter Urteilen verbliebene Dunkel bringt.
Man darf sich fragen, ob unser Staat – und nicht zuletzt das Bundesland Hessen – diesen Alarmruf endlich ernst nimmt. Wer Demokratie und Rechtsstaat schützen will, muss endlich Transparenz schaffen!